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Mondmilchgubel Kriminalroman

Titel: Mondmilchgubel Kriminalroman
Autoren: Mona Bodenmann
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präzise und pointiert formuliert waren. Es war die Idee ihres Verlegers, diese Kolumnen nun in einem Buch zusammenzufassen.
    Sie liebt die Fernsicht, die sich ihr an diesem wolkenfreien Tag bietet. Es freut sie, als westwärts die Rigi und der Pilatus aus dem Dunst auftauchen. Sie hat während ihres Berufslebens nicht nur Kolumnen geschrieben. Gleich nach ihrem Germanistikstudium begann sie bei einem Kulturmagazin zu arbeiten. Später dann folgte eine redaktionelle Tätigkeit bei einer renommierten Tageszeitung. Ihr Interesse galt vor allem dem Abfassen von Porträts außergewöhnlicher Menschen. Dadurch konnte sie vieles zwischen den Zeilen sagen, ohne den Menschen dadurch zu verraten. Es gab auch Jahre, wo sie freiberuflich tätig war. In dieser Zeit entstanden Übersetzungen, Hörspiele und Radiosendungen. Dann kamen Kulturreportagen hinzu, welche ihr ausgedehnte Reisen in der ganzen Welt ermöglichten. Ja, früher brauchte sie ständig neue Herausforderungen.
    Vielleicht sollte sie Raul anrufen, ein paar Worte mit ihm austauschen? Er liebt es, wenn sie mit ihm herumalbert, und heute ist sie dazu in Stimmung. Er ist ein guter Liebhaber. Klug, aber nicht zu klug. Einfühlsam, aber nicht gefühlsduselig. Außerdem besitzt er einen schönen Körper.
    Sie wird die Kolumne über Toleranz und Abtreibungen, die sie heute überarbeitet hat, ihrer Freundin vorlesen. Das Thema ist immer noch aktuell und wird es wohl noch eine Weile bleiben. Iris wird aufmerksam zuhören und danach die Schwachstellen herauspicken. Sie ist eine gute Kritikerin, weil sie den Stoff unbefangen auf sich wirken lässt. Ihre Gedanken schweifen zurück zu Raul. Was würde er wohl tun, wenn er wüsste, dass heute ihr Geburtstag ist?
    Geburtstage wollen gefeiert werden, erst recht, wenn man das erste halbe Jahrhundert ohne seelische Schäden überstanden hat. Sicher, es hat auch in ihrem Leben Stürme gegeben, wie der Tod ihres Mannes Lucien vor sieben Jahren. Dieser Abschied hat sie aus der Bahn geworfen, und es gibt Momente, wo sie ihn immer noch vermisst. Doch der Schmerz hat inzwischen ein erträgliches Maß angenommen und sich gleichmäßig auf ihren Körper verteilt, während er zuerst nur in ihrem Herzen wütete.
    Sie pflückt in ihrem Garten ein paar Kornblumen und stellt sie in eine Vase. Iris wird sich darüber freuen. Es ist drückend heiß. Immer mehr schwarze Wolken ballen sich am Himmel zusammen. Sie holt ihren Liegestuhl, klappt ihn unter dem Apfelbaum auf, dem einzigen Baum auf ihrem Grundstück. Ein Tag ohne Siesta, denkt sie, ist nur ein halber Tag.
    Sie hatte das alte Flarzhaus von einer Einheimischen gekauft. Das Haus richtet sich nach der Sonne aus und ist vom Schwellbalken bis zum Schindeldach aus Holz gebaut. Nur das Erdgeschoss ist weiß verputzt. Wie gut, dass sie sich nach dem Tod ihres Mannes dazu durchgerungen hatte, es zu kaufen. Niemand konnte damals verstehen, was eine eingefleischte Städterin dazu bewog, in die sankt-gallische Enklave Oberholz zu ziehen, die vom hintersten Zipfel des Zürcher Oberlandes eingefasst wird.
    Als damals diese Siedlung im abgeschiedenen Waldgebiet entstand, eben im ›oberen Holz‹, gab es weder Gemeinde- noch Kantonsgrenzen. Die zugewanderten Bauern fanden hier kultivierbaren Boden und Platz für ihren Hof. Die neue Heimat lag in einer abgelegenen Bergsenke, von der bis Ende des 19. Jahrhunderts keine richtige Straße nach einem benachbarten Dorf führte. Am begehbarsten war der Fußweg über Niederholz nach Wald, woraus sich allmählich eine natürliche Verbindung mit der Gemeinde Wald entwickelte. Warum Oberholz zum Kanton St. Gallen und Unterholz zum Kanton Zürich gehört, berichtet eine Sage:

     
    In alter Zeit gehörte das Niederholz bei Wald zum Weiler Oberholz. Und das Oberholz gehörte mit Steuer und Brauch nach Goldingen, mit Braut und Bahr aber nach Eschenbach. Damals hießen noch alle Einwohner Oberholzer und stammten alle von einem Stammvater ab.
    Da geschah es in einer Pestzeit, dass im Oberholz alle Leute ausstarben, bis auf einen Mann. Und weil nun niemand mehr da war, der zur Messe in der Kapelle das Glöcklein läutete, musste es dieser Letzte tun. Aber auch aus dem Niederholz kamen immer weniger Leute, und nach ein paar Tagen kam nur noch einer, der auch Oberholzer hieß. Da beratschlagten die beiden Oberholzer, welche die letzten Überlebenden waren, ob sie ihre Heimat verlassen, oder ob sie in ihren verödeten Weilern bleiben sollten. Schließlich wurden sie rätig,
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