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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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Arme laufen.“
„WIR BEGEGNEN KEINEM“, war Kassiopeias Antwort. Nun, wenn sie das so sicher wußte, dann konnte man sich freilich darauf verlassen. Momo setzte Kassiopeia auf den Boden. Aber dann dachte sie an den langen mühevollen Weg, den sie damals gegangen waren, und plötzlich fühlte sie, daß ihre Kräfte dazu nicht mehr ausreichen würden.
„Geh allein, Kassiopeia“, sagte sie leise, „ich kann nicht mehr. Geh allein und grüß Meister Hora schön von mir.“
„ES IST GANZ NAH!“ stand auf Kassiopeias Rücken. Momo las es und schaute sich erstaunt um. Nach und nach dämmerte ihr, daß dies der armselige und wie ausgestorben wirkende Stadtteil war, von dem aus sie damals in jene andere Gegend mit den weißen Häusern und dem seltsamen Licht gelangt waren. Wenn es so war, dann konnte sie es vielleicht tatsächlich noch bis zur Niemals-Gasse und zum Nirgend-Haus schaffen.
„Gut“, sagte Momo, „ich geh' mit dir. Aber könnte ich dich nicht vielleicht tragen, damit es schneller geht?“
„LEIDER NEIN“, war auf Kassiopeias Rücken zu lesen.
„Warum mußt du denn unbedingt selbst krabbeln?“ fragte Momo.
Darauf erschien die rätselhafte Antwort: „DER WEG IST IN MIR.“ Damit setzte sich die Schildkröte in Bewegung, und Momo folgte ihr, langsam und Schrittchen für Schrittchen.
Kaum waren das Mädchen und die Schildkröte in einer der einmündenden Gassen verschwunden, als es rund um den Platz in den finsteren Schatten der Häuser lebendig wurde.
Ein knisterndes Rascheln ging über den Platz hin wie tonloses Kichern. Es waren die grauen Herren, die die ganze Szene belauscht hatten. Ein Teil von ihnen war zurückgeblieben, um heimlich das Mädchen zu beobachten. Sie hatten lange warten müssen, aber daß dieses Warten einen solchen unverhofften Erfolg zeitigen würde, hatten sie selbst nicht geahnt. „Da gehen sie!“ flüsterte eine aschengraue Stimme. „Sollen wir zupacken?“
„Natürlich nicht“, raunte eine andere. „Wir lassen sie laufen.“
„Wieso?“ fragte die erste Stimme. „Wir müssen doch die Schildkröte fangen. Um jeden Preis, hieß es.“
„Stimmt. Und wozu brauchen wir sie?“
„Damit sie uns zu Hora führt.“
„Eben. Und genau das tut sie jetzt. Und wir brauchen sie nicht einmal dazu zu zwingen. Sie tut es freiwillig – wenn auch nicht absichtlich.“
Wieder wehte tonloses Kichern durch die finsteren Schatten rund um den Platz.
„Geben Sie sofort Nachricht an alle Agenten in der Stadt. Die Suche kann abgebrochen werden. Alle sollen sich uns anschließen. Aber höchste Vorsicht, meine Herren! Keiner von uns darf sich ihnen in den Weg stellen. Man soll ihnen überall freie Bahn geben. Sie dürfen keinem von uns begegnen. Und nun, meine Herren, lassen Sie uns in aller Ruhe unseren beiden ahnungslosen Führern folgen!“
Und so kam es, daß Momo und Kassiopeia tatsächlich keinem einzigen ihrer Verfolger begegneten. Denn wohin auch immer sie ihre Schritte wandten, die Verfolger wichen aus und verschwanden rechtzeitig, um sich hinter dem Mädchen und der Schildkröte ihren Genossen anzuschließen. Eine größer und größer werdende Prozession von grauen Herren, immer durch Mauern und Häuserecken verborgen, folgte lautlos dem Weg der beiden Fliehenden. – Momo war so müde wie noch nie in ihrem ganzen Leben zuvor. Manchmal glaubte sie, daß sie im nächsten Augenblick einfach hinfallen und einschlafen würde. Aber dann zwang sie sich noch zum nächsten Schritt und wieder zum nächsten. Und dann wurde es für ein kleines Weilchen wieder ein wenig besser.
Wenn nur die Schildkröte nicht so schrecklich langsam gekrabbelt wäre! Aber daran war ja nun nichts zu ändern. Momo schaute nicht mehr nach links und nach rechts, sondern nur noch auf ihr eigenen Füße und auf Kassiopeia.
Nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, bemerkte sie, daß die Straße unter ihren Füßen plötzlich heller wurde. Momo hob ihre Augenlider, die ihr schwer wie Blei zu sein schienen, und blickte umher. Ja, sie waren endlich in den Stadtteil gelangt, in dem jenes Licht herrschte, das nicht Morgen- noch Abenddämmerung war und wo alle Schatten in verschiedene Richtungen fielen. Blendend weiß und unnahbar standen die Häuser mit den schwarzen Fenstern. Und dort war auch wieder jenes seltsame Denkmal, das nichts darstellte als ein riesengroßes Ei auf einem schwarzen Steinquader. Momo schöpfte Mut, denn nun konnte es nicht mehr allzulange dauern, bis sie bei Meister Hora sein würden.
„Bitte“,
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