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Mörderische Tage

Mörderische Tage

Titel: Mörderische Tage
Autoren: Andreas Franz
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der Autobahn. Den Rest kannst du dir von den Kollegen berichten lassen, die vor Ort waren. Danke noch mal und gute Nacht.«
    Auf der Fahrt nach Hause ließ er den gesamten Vorgang noch einmal Revue passieren. Jacqueline Schweigert, zweiundzwanzig Jahre alt, Abitur mit achtzehn, Medizinstudentin im sechsten Semester, von ihren Eltern um ein Uhr nachts am neunzehnten Dezember 2006 als vermisst gemeldet. Sie war zur Uni gefahren, hatte an einer Vorlesung teilgenommen und sich hinterher noch mit Kommilitonen getroffen. Am späten Abend hatte sie angeblich die S1 Richtung Wiesbaden genommen und war gegen dreiundzwanzig Uhr am S-Bahnhof Eddersheim ausgestiegen. Aber bereits in Frankfurt hatte sich ihre Spur verloren.
    Die Presse hatte noch vor Weihnachten mehrfach über Jacquelines Verschwinden berichtet, ein Foto von ihr war in jeder im Rhein-Main-Gebiet erscheinenden Zeitung abgedruckt worden, doch niemand konnte etwas über ihren Verbleib sagen. Sie wurde als aufgeschlossene, strebsame, aber auch etwas introvertierte junge Frau beschrieben. Keine Männerbekanntschaften, kein Freund, dafür ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern, bei denen sie noch wohnte. Der Vater führte ein erfolgreiches, alteingesessenes Familienunternehmen, weshalb die Polizei zunächst von einer Entführung ausging. Doch als auch nach den entscheidenden zweiundsiebzig Stunden noch keine Lösegeldforderung eingegangen war, glaubte niemand mehr an eine normale Entführung, sondern man musste davon ausgehen, dass Jacqueline Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war. Und mit jedem weiteren Tag war die Hoffnung geschwunden, sie lebend wiederzusehen. Aber nun war Jacqueline wieder aufgetaucht – wie aus dem Nichts. Bekleidet nur mit einem weißen Nachthemd, nach Rosen duftend, verwirrt und im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos, als hätte ihr jemand die Zunge oder die Stimmbänder herausoperiert.
     
    Im Krankenhaus wurde Jacqueline gründlich untersucht, ergebnislos. Niemand hatte eine Erklärung für den immer noch sehr niedrigen Blutdruck und die flache, unregelmäßige Atmung.
    Als ihre überglücklichen Eltern sie in den frühen Morgenstunden am Krankenbett besuchten, erhielten sie keine Reaktion. Kein Aufblitzen in den Augen, nur ein starrer Blick, als wären die Schweigerts wildfremde Menschen. Sie streichelten ihr wieder und wieder über Gesicht und Haare und hielten ihre Hand, doch Jacqueline reagierte nicht. Die Mutter weinte vor Glück, ihre totgeglaubte Tochter wiederzuhaben, der Vater jedoch saß schweigend am Bett.
    »Warum erkennt sie uns nicht? Was ist mit ihr passiert?«, fragte Frau Schweigert später mit sorgenvoller Miene den diensthabenden Arzt.
    »Sie müssen Geduld haben«, antwortete dieser mitfühlend, »wir gehen davon aus, dass sie ein schweres seelisches Trauma erlitten hat. So etwas kann zu einer vorübergehenden Amnesie und Sprachverlust führen. In der Regel gibt sich das nach ein paar Tagen, manchmal dauert es aber auch Wochen, bis die Patienten ihre Erinnerung wiedererlangen. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass Ihre Tochter ein halbes Jahr weg war. Haben Sie bitte Geduld«, betonte er noch einmal. »Unsere bisherigen Untersuchungen haben keine gravierenden körperlichen Schädigungen angezeigt. Ein wenig Sorgen machen uns ihre Leber- und Nierenwerte, aber ich bin sicher, dass wir die Ursache dafür bald finden werden. Wir werden jedenfalls alles in unserer Macht Stehende tun, damit Ihre Tochter bald wieder nach Hause kann.«
    Gegen neun Uhr erschienen Julia Durant und ein übermüdeter Frank Hellmer in der Klinik, sprachen erst kurz mit den Eltern und schließlich mit zwei Ärzten, die ihnen aber nicht viel Neues berichten konnten.
    Zwei Tage lang wurde Jacqueline zahlreichen Untersuchungen unterzogen, wobei sich herausstellte, dass sowohl die Leber als auch die Bauchspeicheldrüse und die Nieren nach und nach ihre Arbeit einstellten und schon bald auch das Herz angegriffen war. Die Mediziner fanden keine Erklärung dafür und taten alles Menschenmögliche, diesen rasanten Verfall zu stoppen.
    Doch alle ärztliche Kunst half nichts, Jacqueline starb am Sonntag, den siebzehnten Juni um 7.11 Uhr. Sie war eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht – nur vierundfünfzig Stunden nach ihrem plötzlichen Auftauchen aus dem Nichts. Sie konnte nichts mehr erzählen, nicht, was am späten Abend des achtzehnten Dezember 2006 geschehen war, nicht, wo sie sich während der letzten sechs Monate aufgehalten hatte. Die
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