Mittsommerzauber
auch das leise Plätschern von Wasser zu hören. David erkannte, dass das Geräusch von der Rückseite des Hauses kam. Langsam schritt er die Längswand des Gebäudes ab, und als er um die Ecke schaute, bot sich ihm ein Anblick, der ihm den Atem verschlug. Er verharrte mitten im Schritt und hielt die Luft an, als könne er auf diese Weise verhindern, dass sich das unglaubliche Bild wie ein Spuk verflüchtigte.
Unter einem blühenden Holunderbusch stand das zauberhafteste Wesen, das er je gesehen hatte. Es war eine junge Frau von vielleicht sechs- oder siebenundzwanzig Jahren. Sie stand an der Regentonne und wusch sich. Mit hohlen Händen schöpfte sie Wasser aus der Tonne und spritzte es sich über Gesicht und Arme. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre sie nackt, doch dann sah David, dass sie ein durchsichtiges Spitzenhemdchen trug. Ein hellblaues Kleidungsstück - vermutlich eine Bluse - hing über einem der Aste des Holunderbusches hinter ihr.
Die junge Frau pfiff leise vor sich hin und rieb sich die Arme ab, bevor sie mit beiden Händen in ihr schulterlanges Haar fuhr und es nach hinten strich. Es hatte in der Abendsonne die Farbe von wildem Honig, einen Ton heller als ihre sanft gebräunte Haut. Ihre runden Brüste waren unter dem dünnen, durchnässten Hemdchen deutlich zu sehen, und David begriff, dass er dabei war, sich lächerlich zu machen. Er stand hier herum wie der letzte Spanner, anstatt sich höflich bemerkbar zu machen und ihr damit Gelegenheit zu geben, sich zu bedecken.
Er räusperte sich vorsichtig, und die Frau fuhr zusammen.
»Ich... ähm, es tut mir Leid«, sagte David hastig. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, und David hatte Mühe, nicht schuldbewusst zurückzuweichen. Doch sie machte keine wütende Bemerkung, sondern griff ohne Anzeichen von Hast nach ihrer Bluse und streifte sie nachlässig über. »Hej«, sagte sie. »Gut, dass Sie kommen. Im Pferch habe ich sie ja jetzt. Aber ich habe keine Ahnung, was als Nächstes passieren muss.« Sie lächelte ein wenig schief, dann streckte sie die rechte Hand aus. »Entschuldigung. Ich habe vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Eva Winklund.«
Erst in diesem Moment erkannte David ihre Stimme und kam sich grenzenlos unbeholfen vor, als er ihren Händedruck erwiderte.
Ihre Hand war zierlich und klein wie die ganze Person, aber der Druck ihrer Finger war überraschend fest. David hatte plötzlich den unbezähmbaren Drang, zu lächeln. Er tat es und fragte sich, ob es so dämlich aussah, wie er sich fühlte. Mit einem Mal war er von einer Leichtigkeit erfüllt, die ihn verblüffte. Die Sonne würde bald untergehen, doch es kam ihm vor, als sei die Welt um einige Nuancen heller als vorher.
»Ich glaube, wir haben telefoniert«, sagte er eine Spur zu hastig. »David Lilienberg.«
Eva erwiderte unverwandt seinen Blick. »Ach, Sie waren das. Natürlich. Ich habe Ihre Stimme nicht gleich erkannt.« Sie lächelte, und David stockte der Atem, weil sich ihr ohnehin schon reizendes Gesicht durch dieses kleine, offene Lachen völlig zu verwandeln schien. Sie war immer noch hübsch, aber das Lächeln verlieh ihr zusätzlich eine eigentümliche, beinahe wilde Schönheit. Vielleicht war es das Blitzen ihrer Zähne, vielleicht auch das besondere Funkeln in ihren Augen - deren Farbe David wegen des schwindenden Tageslichts zu seinem Verdruss nicht richtig erkennen konnte.
Sie knöpfte die Bluse zu und schob sich den Saum in die Hose. »Ist Gustavs Tochter auch mitgekommen?«
»Ja, sie ist bei ihm im Krankenhaus«, antwortete David, ohne den Blick von ihr zu wenden. »Ich schaue später auch noch nach ihm. Aber zuerst wollte ich hier nach dem Rechten sehen.« Er spürte sein Herz plötzlich schmerzhaft schnell schlagen und fragte sich, was um alles in der Welt mit ihm los war.
Sie lächelte abermals, kurz und voll unbewusster Süße.
»Danke«, sagte David unsicher. »Ich meine... danke für alles. Für alles, was Sie getan haben, meine ich.« Er unterbrach sein Gestammel und verstummte, bevor er weiteren Blödsinn absondern konnte. Stattdessen holte er tief Luft, als sie ihm zunickte und auf das Rad zuging, das sie drüben neben Gustavs Pick-up abgestellt hatte. »Na, dann geh ich mal«, sagte sie. »Die Schafe sind im Pferch, und ich nehme an, um den Rest werden Sie sich kümmern. Wiedersehen, Herr Lilienberg.« Kichernd wandte sie sich zum Pferch und hob die Hand zu einem kurzen Winken.
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