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Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)

Titel: Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)
Autoren: Margarita Kinstner
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überlegt. In einem leuchtenden Schaukasten leuchtet verblutet ein Graf.
    »Ich weiß es nicht mehr genau. Ich war mit Joe im Planetarium, aber das war erst ganz am Schluss. Davor haben wir zwei seiner Freunde im Kasperltheater besucht. Joe hat mir etwas vorgespielt, mit einer schönen Frau, die sich in einen Puppenspieler verliebt. Und mit dem Blumenrad sind wir auch gefahren. Ich weiß noch, wie schlecht mir wurde, als einer die Gondel gedreht hat. Es gab da ein furchtbares Foto von mir, aber das hab ich zerrissen.«
    Die Bahn bleibt knatternd im Freien stehen. Sie steigen aus und gehen hinter Palicini her.
    »Ich glaub, jetzt ist das Blumenrad dran«, flüstert Gery, als sie vor den neuen Figuren des Calafati und der Fortuna stehen bleiben. Und schon sehen sie Palicini zu, wie er einen kahlköpfigen Mann grüßt und auf die Uhr sieht.
    Sie klettern auf die weiße Bank. Marie hält die Stange fest. »Bitte nicht drehen«, ruft sie Palicini und dem Kahlköpfigen zu, aber da erheben sie sich auch schon in die Lüfte.
    »Eigentlich mochte Joe das Riesenrad lieber«, sagt Gery.
    »Ich finde das Riesenrad bescheuert. Immer stehen hundert andere am Fenster und drücken sich die Nasen platt. Da sieht man doch nichts!«
    Sie lehnt sich zurück und sieht hinunter. Unten verschwimmt der Prateralltag zu einem bunten Fleckerlteppich.
    »Das ist wie in einem alten Liebesfilm«, sagt sie. »Da sitzen sie auch immer über den anderen und küssen sich.«
    »Aber wir küssen uns ja gar nicht.«
    Marie grinst. »Joe und ich haben uns drei Runden lang geküsst. Das war an dem Tag, nachdem wir zusammengekommen sind.«
    »Bereust du es?«
    »Das mit Joe? Nein. Es war ja auch schön. Zumindest am Anfang. Wie im Märchen. Aber später hat es dann nur noch wehgetan.«
    »Ich hab nie verstanden, warum er so dumm war.«
    »Ach, was weiß ich. Ich suche mir einfach gerne die falschen Männer aus. Entweder sie lieben mich zu sehr oder zu wenig.«
    »Joe hat dich nicht zu wenig geliebt.«
    »Ich habe nächtelang auf ihn gewartet. Das würde ich mir heute von keinem mehr gefallen lassen. Aber damals war ich noch dumm und bis über beide Ohren in ihn verliebt.«
    »Joe war es bis zu seinem Tod.«
    Marie sieht ihn an. Dann schüttelt sie den Kopf.
    »Er hätte bis zuletzt die Chance gehabt, zu mir zurückzukommen. Aber ich hab ihm nicht einmal so viel bedeutet, dass er mich an meinem Geburtstag anruft. Stattdessen bringt er sich einen Tag danach um.«
    »Du hast gestern Geburtstag gehabt?«
    »Ja. Meinen neunundzwanzigsten.« Und den habe ich am Bett meines kranken Vaters verbracht, denkt sie. Am Bett eines Vaters, der mich nicht einmal begrüßen kann.
    Sie dreht sich weg. Schaut auf die bunten Geräte, hört das Kreischen der Besucher und das Düdeln der Computermusik. Was muss sie mit Gery darüber reden? Was geht es ihn schon an?
    Palicini sieht auf die Uhr. Neununddreißig Minuten sind vergangen, seitdem sie sich vor der Wiener Hochschaubahn getroffen haben. Er vereinbart mit dem Besitzer des Blumenrades noch zwei weitere Runden. Hat er sich doch tatsächlich verschätzt. Er hat gedacht, dass alles viel länger dauern würde. Vielleicht sollte er anfangen, sich zu entspannen. Es hat keinen Sinn, die beiden so durch den Tag zu hetzen. Als Nächstes steht der Wasserfall am Programm, dann noch das Bogenschießen, und dann ist auch schon das Riesenrad dran. Er hat noch fast anderthalb Stunden Zeit, bis Gerd und Max ihre Vorstellung beginnen.
    Der Pfeil prallt an der Plastikhaut des Bären ab.
    »Der Arme«, sagt Marie.
    Der Bogenstandbesitzer lacht und hält Gery den nächsten Pfeil hin.
    »Wie viele Versuche habe ich?«
    »So viele du willst«, sagt Palicini.
    Die nächsten zwei Pfeile landen in zwei der Luftballons unter der Zielscheibe und verursachen einen Knall. Der dritte Pfeil prallt zwischen den Zielscheiben an der Wand ab.
    »In den alten Filmen hätte ich sicherlich kein Mädchen abbekommen.«
    »Du hast Glück, dass ich mit dir schon in den Himmel gefahren bin. Im Film hätte ich mir jetzt einen coolen Typen vom Bogenstand ausgesucht.«
    »Aber ich bin der Einzige hier. Schau dich doch mal um. Außer du willst Palicini«, flüstert Gery und spannt den Bogen erneut. Diesmal trifft der Pfeil die Zwanzig. Der Budenbesitzer lacht. »Jetzt geht sich ein kleines Herz aus!«
    Gery legt den Bogen aus der Hand und nickt. Der Budenbesitzer holt das Plüschherz vom Regal und drückt es Marie in die Hand, die es in ihre Tasche steckt.
    »Ist eh
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