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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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Franzosenkraut. Lästige Unkräuter werden gern den Nachbarvölkern in die Schuhe geschoben. Die Russen nannten es „polnisches Unkraut“ (Polska Xopta) , die Rumänen „italienisches Unkraut“. Auch als „Zigeunerkraut“ wurde das Pflänzchen beschimpft. Der alte Gärtnermeister Stauffer, der sonst einen gewaltlosen Gandhi abgab, spuckte Gift und Galle, sobald er ein Franzosenkraut in seinem (biologisch-dynamischen) Gemüsegarten entdeckte. Er zog sogleich mit einem Flammenwerfer los, um eine Invasion seiner Ackerkrume zu verhindern. Inzwischen, im Zeitalter der europäischen Verständigung, scheint sich niemand mehr so sehr über die Pflanze aufzuregen.

Das Wandern ist der Flora Lust
    Die Natur ist kein Museum, wo alles stationär und rigide seinen zugewiesenen Platz hat. Das Ökosystem ist lebendig und im ständigen Wandel begriffen. Pflanzen sind schon immer gewandert. Zum Glück! Als die Eiszeitgletscher kamen, wichen die Pflanzen nach Süden aus. Aber in Europa stellten sich ihnen mit den in Ost-West-Richtung verlaufenden Gebirgsketten und dem Mittelmeer große Hindernisse in den Fluchtweg. Viele Arten konnten diese Hürden nicht überwinden. Über hundert Gattungen starben aus. In Nordamerika, wo es keine solchen Barrieren gab, haben diese Arten überlebt, darunter etwa Hexenhasel (Hamamelis) , Hickorynuss (Carya) , Amberbaum (Liquidambar) , Tulpenbaum (Liridendron) , Trompetenbaum (Catalpa) , Mahonie, Pfeifenstrauch (Philadelphus) , Phlox, Papaya, Mammutbaum und Sumpfzypresse. Viele dieser Pflanzen kommen nun, nach mehreren tausend Jahren, wieder zurück, einige als Park-, Garten- und Zierpflanzen, andere als „Unkräuter“. Wenn ich sie sehe, freue ich mich. Sie erinnern mich nicht nur an meine Jugendzeit in den Laubwäldern in Ohio, sondern ich empfinde sie als eine Bereicherung unserer hiesigen verhältnismäßig artenarmen Flora.
    Vor 20 000 Jahren begann allmählich der Rückzug der Gletscher (Skandinavien ist erst seit etwa 8500 Jahren eisfrei). Nun besiedelten die Pflanzen allmählich wieder die völlig kahle, entblößte Landschaft. In die baumlosen Tundren Mitteleuropas zogen zuerst Gräser, Seggen und der Beifuß (Artemisia) ein. Hier und da – das zeigen Pollenanalysen des Bodens – wuchs Sanddorn-, Zwergbirken- und Strauchweidengestrüpp, dazu gesellten sich Sonnenröschen, Wiesenraute und Meerträubelarten (Fukarek et al 1995: 67). Nun konnten auch die großen Tierherden – Rentier, Wisent, Mammut, Wollnashörner, Urrinder und kleine flinke Pferde – und die paläolithischen Großwildjäger die Kaltsteppen besiedeln.
    Mit der weiteren Klimaerwärmung um 6000 vor unserer Zeitrechnung zogen auch die Bäume wieder in unsere Breiten, zuerst Birken und Kiefer, dann Hasel, Erle, Eiche, Ulme und Linde, und mit ihnen kamen die Waldtiere: Rehe, Wildschweine, Hirsche und Elche. Wären die steinzeitlichen Großwildjäger Naturpuristen gewesen, dann hätten sie bestimmt die Verdrängung der Steppenflora beklagt und zu einem Abwehrkampf gegen die von Süden her eindringenden Bäume aufgerufen. Aber sie zogen einfach weiter nach Osten oder passten sich an und wurden mesolithische Kleintierjäger, Sammler und Fischer.
    Kaum war der dichte europäische Urwald etabliert, wanderten von Vorderasien her die ersten Bauern mit ihren Schafen, Ziegen, Schweinen und Rindern, Getreide und Hülsenfrüchten in das Gebiet ein. Sie besiedelten das Donautal und dessen Nebentäler, und lichteten die Wälder durch Brandrodung, Ringeln von Bäumen und Waldweide. Mit ihnen kamen Acker- und Getreideunkräuter aus Anatolien und dem südöstlichen Mittelmeerraum: Mohnarten, Kornblume, Kornrade, Ackerwinde, Feldrittersporn, Echte Kamille, Ackerhellerkraut und andere. Botaniker bezeichnen diese Fruchtbegleiter als archäophytische Segetalflora. Wenn diese Ackerwildkräuter infolge der abnehmenden Bodenfruchtbarkeit überhand nahmen, zogen die Wanderfeldbauern weiter. Wie bei den indianischen und afrikanischen Hackbauern wurden Feldwildpflanzen sicherlich nicht als Unkraut gesehen, sondern als heilige, heilende Pflanzen, die der Göttin, der Mutter Erde, oder ihrem sterbenden und wiederauferstehenden Sohn geweiht waren. Mit ihren bunten Blüten wurden Getreidegarben und Götterdarstellungen geschmückt.
    Auch andere Wildpflanzen kamen mit den bäuerlichen Siedlern: nährstoffhungrige, stickstoffliebende Gewächse, die die Abfallhaufen, die festgetrampelten, urin- und aschegedüngten Böden rund um das Dorf und entlang der
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