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Mit Fünfen ist man kinderreich

Mit Fünfen ist man kinderreich

Titel: Mit Fünfen ist man kinderreich
Autoren: Evelyn Sanders
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jährlich stattfindenden Schutzimpfungen für Kleinkinder benutzt wird, ein Gasthaus, in dem gleichzeitig der einzige Krämerladen des Dorfes untergebracht ist, und einen ehemaligen Weinkeller, der jeweils zur Faschingszeit zum örtlichen Vergnügungszentrum umfunktioniert wird. Das Dominierende an und um Heidenberg sind jedoch die Weinberge, und vorwiegend nach ihnen richten sich die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Sascha lernte schon sehr bald den Unterschied zwischen normalen Sterblichen und Weinbauern kennen, denn oft genug, wenn er einen seiner neugewonnenen Freunde zum Spielen abholen wollte, bekam er die Antwort: »Heut nicht, wir ganget ins Spritzen.« Was je nach Jahreszeit auch ›Rebenbinden‹, ›Hacken‹, ›Triebeschneiden‹ oder last but not least ›Lesen‹ heißen konnte. Denn die Weinlese ist ein Ereignis, das auch den letzten Greis und die sonst bettlägerige Oma in die Weinberge treibt. Sascha fand die Zeit wunderbar, denn es gab aus diesem Anlaß ein paar schulfreie Tage, die mein Sohn allerdings als private Ferien betrachtete. War er am ersten Morgen noch erwartungsvoll zusammen mit seinem Freund Gerhard und dessen gesamter Familie in die Weinberge gezogen, so merkte er doch sehr schnell, daß die im Fernsehen so leicht aussehende Tätigkeit des Traubenpflückens harte Knochenarbeit bedeutet. Prompt erschien er kurz vor dem Mittagessen wieder zu Hause und schimpfte: »Das ist eine ekelhafte Schinderei, und außerdem schmecken die Trauben überhaupt nicht!« Den Rest der Weinleseferien verbrachte er dann überwiegend in seinem Baumhaus, von dem aus er mit einem ausrangierten Operngucker fachmännisch die Fortschritte in den Weinbergen verfolgte.
    Unsere ›Residenz‹ lag etwas außerhalb des Dorfes, soweit man den Begriff ›außerhalb‹ überhaupt anwenden kann. Von der Hauptstraße, die auf beiden Seiten von Häusern flankiert war, zweigten in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Seitenwege ab, die nach ein paar Metern vor einer Hofeinfahrt endeten oder sich zu einfachen Feldwegen verjüngten, um sich irgendwo in der Ferne zu verlieren. Lediglich einer dieser Seitenwege tat das nicht. Er beschrieb eine Kurve, stieg etwa 200 m lang ziemlich steil bergan und endete vor einer Unkrautplantage. An einem etwas seitlich gelegenen Hang stand unser Haus. Der Garten fiel zur Straße hin ab, zog sich aber um das ganze Haus herum und war zum Teil eingeebnet. Trotzdem wackelten immer die Gartenmöbel, und wir hatten ständig einen Stapel Reclam-Heftchen griffbereit, um die Höhenunterschiede auszugleichen. (Die Herren Lessing und Kleist mögen mir verzeihen!)
    Der Architekt hatte von seinem Bauherrn offenbar künstlerischen Freiraum erhalten, denn vielleicht läßt es sich so erklären, daß er die Wohnräume und die Küche in die erste Etage verlegte. Folgerichtig lag auch die Terrasse, die an das Wohnzimmer grenzte, im ersten Stock, und wollte man sie vom Garten aus betreten, so mußte man erst eine hühnerleiterartige Stiege erklimmen. Für Leute mit Asthma oder Rheumatismus war das Haus denkbar ungeeignet, für Leute mit empfindlichem Gehör ebenfalls. Wenn unser lebhafter Nachwuchs samt Freunden die Treppen hinauf- oder hinunterpolterte – und das geschah ungefähr dreißigmal pro Tag –, dann hatte man oft den Eindruck, eine Herde Elefanten stürmte das Haus.
    Sagte ich schon, daß Heidenberg 211 Einwohner zählte? Ungefähr ein Fünftel davon hatte sich um den Möbelwagen geschart, wich aber in respektvolle Entfernung zurück, als unser Pkw um die Ecke bog.
    »Da seid ihr ja endlich!« begrüßte uns Sven und zog Lohengrin an einem Bindfaden hinter sich her. »Wir sind schon seit einer halben Stunde da, das Bier ist alle, und Hunger haben wir auch!«
    Sascha ergriff die Initiative. »Mal sehen, ob ich rauskriege, wo man hier etwas zu essen holen kann.« Damit steuerte er auf einen strohblonden Knaben zu, der hingebungsvoll in der Nase bohrte. »Ich heiße Sascha, und du?« -
    »Häh?« -
    »Wie du heißt!« -
    »Kinta.« -
    »Wie?«
    »Kinta.«
    Sascha sah sein Gegenüber an und kam kopfschüttelnd zurück. »Die haben aber komische Namen hier.«
    »Der heißt sicher Günther«, erläuterte einer der Möbelmänner, offenbar recht gut vertraut mit den diversen schwäbischen Dialektfärbungen.
    Sascha trottete zurück. »Heißt du Günther?« Der Strohblonde nickte. »Wie alt bist du?« examinierte Sascha weiter.
    »Nein.«
    »Ich meine, wieviel Jahre bist du alt?«
    »Ha,
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