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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge
Autoren: Elizabeth Strout
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Mann noch am Leben war. Ein Mann, über den sie sich den Großteil ihrer Ehe schwarzgeärgert hatte, der ständig an der Erziehung ihrer Tochter herumnörgelte, der sich mit Baseballmütze zum Essen setzte - es hatte Bunny wahnsinnig gemacht. Aber jetzt erschien es wie ein Sechser im Lotto, denn er lebte noch, und Bunny sah es ja reihenweise bei ihren Freundinnen, wie es war, seinen Mann zu verlieren und dann zu ertrinken in Einsamkeit. Olive hatte sogar manchmal den Eindruck, dass Bunny ihr aus dem Weg ging - als wäre Olives Witwentum eine ansteckende Krankheit. Aber übers Telefon redete sie noch mit ihr. »Was für ein Glück, dass du vorbeigekommen bist und ihn gefunden hast«, sagte Bunny. »Stell dir vor, er wäre da liegen geblieben.«
    »Dann hätte eben jemand anders ihn gefunden«, sagte
Olive. Dann: »Vielleicht ruf ich ihn nachher mal an, ob alles in Ordnung ist.«
    »Ach ja, mach das«, sagte Bunny.
    Um fünf schlug Olive seine Nummer im Telefonbuch nach. Sie wählte die ersten Zahlen, brach wieder ab. Um sieben rief sie an. »Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte sie, ohne ihren Namen zu nennen.
    »Hallo, Olive«, sagte er. »Soweit ich beurteilen kann, schon. Danke der Nachfrage.«
    »Haben Sie Ihre Tochter angerufen?«, fragte Olive.
    »Nein«, sagte er, mit einem kleinen Laut des Befremdens, schien es Olive.
    »Vielleicht würde sie gern Bescheid wissen, wenn Sie nicht ganz auf dem Damm sind.«
    »Ich wüsste nicht, warum ich sie damit behelligen sollte«, sagte er.
    »Na dann.« Olive ließ den Blick durch die Küche wandern, ihre leere, stumme Küche. »Bis irgendwann.« Sie ging nach nebenan und legte sich hin, ihr kleines Radio ans Ohr gedrückt.
     
    Eine Woche verstrich. Olive merkte es selber, wenn sie ihre Morgengänge am Fluss machte: Dort in dem Wartezimmer, während der Arzt Jack Kennison untersuchte, hatte sie sich für einen kurzen Moment mitten im Leben gefühlt. Und jetzt stand sie wieder außerhalb. Sie fand und fand keine Lösung. Seit Henrys Tod hatte sie es mit allem Möglichen versucht. Sie hatte als Führerin im Kunstmuseum in Portland gearbeitet, aber nach ein paar Monaten waren ihr die vier Stunden, die sie an einem Ort ausharren musste, schier unerträglich geworden. Sie hatte im Krankenhaus ausgeholfen, aber in einem rosa Kittel herumzulaufen und verwelkte Blumen zu arrangieren, während die Schwestern an ihr vorbeihetzten,
war ihr genauso unerträglich. Sie hatte Gratisunterricht für Gaststudenten am College gegeben, die jemanden brauchten, der englische Konversation mit ihnen übte. Das war noch das Beste gewesen, aber ausgereicht hatte auch das nicht.
    Hin und zurück marschierte sie jeden Morgen am Fluss, und wieder wurde es Frühling - närrischer, närrischer Frühling, der da seine winzigen Knospen sprießen ließ, und was ihr am meisten zusetzte, war, dass so etwas sie Jahr um Jahr so glücklich gemacht hatte. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal unempfänglich werden würde für die Schönheit der äußeren Welt; nun wusste sie es besser. Der Fluss glitzerte in der höher steigenden Sonne, so grell, dass sie die Sonnenbrille herausholen musste.
    Hinter der kleinen Biegung, die der Weg machte, stand die Steinbank. Jack Kennison saß darauf und sah ihr entgegen.
    »Hallo«, sagte Olive. »Wollen Sie’s mal wieder wissen?«
    »Die Untersuchungsergebnisse sind jetzt alle da«, sagte Jack. Er zuckte die Achseln. »Anscheinend fehlt mir nichts, also dachte ich, gleich wieder rauf aufs Pferd, wie man sagt. Ja, ich will’s noch mal wissen.«
    »Sehr tüchtig. Kommen Sie, oder gehen Sie?« Die Vorstellung, mit ihm zwei Meilen hin und drei Meilen wieder zurück zum Auto gehen zu müssen, war ihr nicht geheuer.
    »Ich gehe. Ich bin auf dem Rückweg.«
    Sie hatte sein blitzendes rotes Auto vorhin gar nicht am Parkplatz gesehen.
    »Sind Sie hergefahren?«, fragte sie.
    »Ja, sicher. Flügel sind mir noch keine gewachsen.«
    Seine Brille war nicht getönt, und sie sah, wie seine Augen ihren Blick suchten. Sie nahm die Sonnenbrille nicht ab.
    »Das sollte ein Witz sein«, sagte er.
    »Das denk ich mir«, gab sie zurück. »Sonst würde man’s ja sehen.«

    Mit der Handfläche klopfte er auf den Stein, auf dem er saß. »Machen Sie zwischendurch gar keine Pausen?«
    »Nein, ich gehe in einem durch.«
    Er nickte. »Also dann. Schönen Spaziergang noch.«
    Sie ging an ihm vorbei und sah dann zurück. »Fühlen Sie sich nicht gut? Haben Sie sich hingesetzt, weil Sie erschöpft
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