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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming
Autoren: Douglas Coupland
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ihr, dass es die PR-Leute für ihren Actionfilm gewesen sein mussten, die sich diese kranke Variante eines Mitleidficks ausgedacht hatten, um die Leute in die Kinos zu locken und die Einspielergebnisse des dritten Wochenendes in die Höhe zu treiben. Ihre Mutter und ihr Stiefvater, die nach dem Gottesdienst erneut interviewt wurden, waren mittlerweile zu Schlüsselfiguren im Verfahren gegen die Fluggesellschaft geworden. »Wir würden jeden Pfennig, den dieser Prozess uns einbringen mag, dafür geben, unsere liebe Suzie wieder bei uns zu haben.« Suzie? Marilyn hatte Susan alle möglichen Namen gegeben, aber Suzie hatte bisher nicht dazugehört. Des weiteren wurde in den Fernsehnachrichten berichtet, die Fluggesellschaft habe dem betroffenen Landwirt eine Entschädigung für die Hirseernte der nächsten drei Jahre gezahlt und die Unglücksstelle mittels mehrerer bei einem nahe gelegenen Bergwerk ausgeliehener Siebvorrichtungen von allen Trümmern befreit. Der Gerichtsmediziner des Bezirks räumte ein, dass viele Passagiere zu stark verkohlt waren, um noch identifiziert werden zu können, und Susans Befürchtungen, man könnte entdecken, dass sie nicht unter den Opfern war, wurden durch ein Interview mit einer Angehörigen des Bodenpersonals zerstreut, die mit Tränen in den Augen schilderte, wie überwältigend es für sie gewesen sei, Susan den Weg zur Einstiegsrampe zu weisen (»So was Natürliches! Sie ist sogar Touristenklasse geflogen«). Die Worte dieses Mädchens waren in der ganze Farce um ihren Tod der einzige Moment echter Herzenswärme.
    Susan vertraute jedenfalls trotz eines gewissen Risikos darauf, dass die Galvins, offenbar eine sparsame Familie, die sich gern mit preisgünstigen Großpackungen eindeckte, ihren bereits bezahlten Urlaub in Orlando nicht vorzeitig beenden würden -auch wenn eine der größten zivilen Flugzeugkatastrophen Nordamerikas nur einen kurzen Spaziergang von ihrer Hintertür entfernt passiert war. Aus dem Kalender am Kühlschrank ging hervor, dass sie am nächsten Tag um 18:10 Uhr in Columbus und um 20:00 Uhr in Seneca ankommen würden. Am Morgen der voraussichtlichen Heimkehr der Galvins ging Susan mit einem Lappen und Fensterputzmittel durchs Haus, um jede Oberfläche, auf der sie Fingerabdrücke hinterlassen haben konnte, zu polieren. Sie wusch die Bettwäsche und die Handtücher und räumte alles wieder so weg, wie sie es vorgerunden hatte. Die verbliebenen Lebensmittel in den Schränken und der Tiefkühltruhe arrangierte sie so, dass es aussah, als würde nichts fehlen.
    Dann suchte sie sich aus den Sachen, die ganz hinten in Karen Galvins Kleiderschrank hingen, und aus Kartons, die anscheinend selten oder nie getragene Kleidungsstücke enthielten, etwas aus. Ebenfalls in der hintersten Ecke fand sie, vergraben hinter Schuhen und einem Vorrat von Energieriegeln, einige aschblonde Perücken, frisiert in einem Stil, den sie mit in der Unterhaltungsindustrie erworbenem Reichtum der zweiten oder dritten Generation assoziierte. Sie steckte einen Teil der Perücken und ein paar Klamotten sowie einen Karton Energieriegel, eine Handvoll überalterter Kosmetika und ein Paar von Karens geradezu rührend praktischen Schuhen in eine ausgediente Sporttasche, die sie auf einem Regal neben der Waschmaschine und dem Wäschetrockner gefunden hatte. Sie improvisierte einen Look für den bevorstehenden Tag und nickte sich dann im Spiegel zu. Geschafft.
    Jetzt gab es nur noch eins für sie zu tun. Sie ging zu Mr. Galvins Hausbar, wählte ein Getränk, auf das ihrer Einschätzung nach Teenager am ehesten standen - Jack Daniel's -, und schüttete drei Viertel der Flasche in den Ausguss. Zusammen mit der viertelvollen Flasche stellte sie ein paar leere Bierdosen in einem Halbkreis um den Fernseher auf. Dann kritzelte sie mit einem dicken Filzstift in einer Handschrift, die, wie sie hoffte, aussah wie die eines halbwüchsigen Jungen, »Metallica rocks« auf den Bildschirm. Ausserdem verteilte sie sechs Trinkgläser mit Jack-Daniel's-Resten im Zimmer, zwei davon mit Lippenstiftspuren. Sie zerwühlte die Couch und brachte ein paar Nippessachen durcheinander. Die heimkehrende Familie würde bloß Spuren einer harmlosen kleinen Hausbesetzung durch Jugendliche finden.
    Susan fühlte sich gut, als sie mit Perücke und in Karens Sachen durch die unverschlossene Terrassentür auf den Weg hinter den Häusern hinaustrat. Sie hievte eine Plastiktüte mit dem Müll, der sich in der einen Woche angesammelt
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