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Mischpoche

Titel: Mischpoche
Autoren: Gmeiner-Verlag
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in Österreich der Führer.«
    »Und warum, bitte schön, sollt’ der Millimeternich so etwas machen?«
    »Weil er Neuwahlen fürchten muss wie der Teufel das Weihwasser. Wenn es jetzt bei uns Neuwahlen gibt, dann zerbröselt’s seine Koalitionspartner und wahrscheinlich auch seine eigene Partei, dann kommen die Nazis ins Parlament, und er kann seine Sachen packen und wieder in Niederösterreich Bauernbunddirektor spielen.«
    Bronstein setzte eine skeptische Miene auf. Diese aber spornte Cerny zu weiteren Ausführungen an.
    »Erinnere dich, wie das 1914 gewesen ist …«
    »Da warst du noch keine …«
    »Aber ich kann lesen, David. Auch wenn ich damals noch ein Dreikäsehoch war, so weiß ich doch, was damals alles passiert ist. Die Grund- und Freiheitsrechte wurden außer Kraft gesetzt, die Arbeitszeit auf 13 Stunden verlängert, Arbeitspausen und Sonntagsruhe abgeschafft, das Briefgeheimnis aufgehoben und, und, und. Und das alles unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Staatsnotstandes. Was also soll den Dollfuß daran hindern, wieder von einer existenzgefährdenden Krise des Landes zu sprechen, die im Interesse der Sicherheit der Bürger solche Maßnahmen erforderlich mache? Er schwingt sich zum Diktator auf und lässt sich dabei noch als Retter des Vaterlandes feiern. DAS kann passieren, wenn es kein Parlament mehr gibt.«
    »Cerny, Cerny! Du bist ein notorischer Schwarz-Seher. Kein Wunder bei deinem Namen übrigens. Aber ich sage dir, so heiß wird nix gegessen, egal, wie’s gekocht wird. Die spielen halt jetzt alle ein bisserl mit den Muskeln, und dann werden sie sich schon wieder beruhigen. Gerade, weil sie wissen, was geschehen kann, wenn man auf Konfrontation statt auf Ausgleich setzt. Damals haben s’ die Monarchie verspielt mit ihrer Starkmeierei. Glaubst du, die riskieren so etwas noch einmal?«
    Cerny schwieg. Aber sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
    »Weißt was, schreib’ lieber deinen Bericht«, trug ihm Bronstein indigniert auf, »ich erfülle in der Zwischenzeit meine staatsbürgerliche Pflicht.«
    »Was jetzt genau heißt?«
    »Ich geh’ was essen.«
    »Ah, und inwiefern ist das Erfüllung staatsbürgerlicher Pflicht?«
    »Na, erstens nützt ein verhungerter Beamter niemandem, weil er seine amtlichen Obliegenheiten nicht erledigen kann, und zweitens kurble ich mit meiner Konsumation die Binnennachfrage an und stütze damit die heimische Volkswirtschaft.« Dabei grinste Bronstein breit.
    »Das ist dir jetzt wieder peinlich, dass du solch unangenehme Arbeiten übernehmen musst, gell. Wenn’s da keine dienstliche Weisung gäb’ dafür, dann tät’st ja glatt hungern wie dieser indische Fakir da, der sich dauernd mit den Engländern anlegt.«
    »Ach ja, der, der da dauernd irgendein Spinnradl dreht. Na, Cerny, keine Sorge, ich spinn’ nicht. Ich sage nur: Mahlzeit!«
    »Ja, du mich auch.«
    Bronstein war schon fast bei der Tür, als er sich noch einmal umdrehte: »Soll ich dir was mitbringen?«
    »Du, nein danke, ich hab’ meine Vesper mit. Augsburger mit G’röste. Das passt schon. Aber danke, dass d’ g’fragt hast.«
     
    Neun Tage später saß Bronstein müde und verspannt an seinem Schreibtisch und blickte auf eine ereignisreiche Woche zurück. Am Dienstag hatte Dollfuß tatsächlich erklärt, das Parlament habe sich selbst ausgeschaltet, weshalb nun die Regierung genötigt sei, alle Kompetenzen an sich zu ziehen, um die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Cernys ›Hab ich’s nicht gesagt‹ hatte er an jenem Tag gebraucht wie den sprichwörtlichen Kropf. Er hasste es, wenn sein jüngerer Kollege recht hatte und er nicht. Der Kanzler berief sich dabei auf das sogenannte Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz, das auf wundersame Weise den Untergang der Monarchie überlebt hatte. Diese Tatsache störte Bronstein gleichwohl wesentlich weniger als der Umstand, dass Cerny auf so erdrückende Weise recht behalten hatte.
    Doch gar so leicht wollte die Opposition nicht klein beigeben. Der Dritte Präsident widerrief gleichsam seinen Rücktritt und stellte die Wiederaufnahme der Nationalratssitzung für den 15. März in Aussicht. Genau das schien die Regierung verhindern zu wollen, und genau deshalb war Bronstein verspannt. Wie alle anderen leitenden Beamten auch war er vom neuen Polizeipräsidenten Brandl zum Rapport befohlen worden. Was er dort erfahren hatte, schlug sich ihm nachhaltig auf den Magen.
    »Schauen S’, Herr Kollege. Die Sache ist
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