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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman
Autoren: Stollfuß
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Kaugummis.
    Mein Vater wollte auch unbedingt einmal vorbeischauen, obwohl ich ihm unsere interne Situation und das Besuchsverbot in mehreren Briefen deutlich geschildert hatte. Aber auch wenn er nur ein bescheidener Ingenieur war und der Leiter der Abteilung des Planungswesens eines kleinen Plastikbetriebs, war mein Vater doch schon immer für ausgefallene Ideen zu haben gewesen. Er ließ sich bei einem Bekannten eine Fantasieuniform schneidern. Die Uniform eines Admirals der Flotte mit vielen goldenen Streifen, roten Knöpfen und fransigen Schulterklappen. Außerdem verschaffte er sich zwei Mützen mit Kokarden – eine weiße und eine schwarze.
    In dieser Uniform erschien mein Vater eines Tages vor dem großen Tor unseres Geländes. Er sah wie Pinochet aus, sogar noch gefährlicher. Der Soldat am Kontrollpunkt rannte aus seinem Häuschen und begrüßte meinen Vater, als hätte er einen Generalissimus vor sich. »Rühr dich Soldat, ich will nur meinen Sohn sehen«, sagte mein Vater. Seine Idee funktionierte ganz gut, selbst der Dienst habende Offizier, der Säufer, konnte seinen Schulterklappen nicht widerstehen. Ich wurde sofort gerufen, und dann spazierten wir in den Wald, wo meine Mutter auf uns wartete. Zwei Stunden verbrachten wir zusammen, ich aß die hausgemachten Buletten, und meine Mutter machte ein paar Fotos von uns.
    Der Auftritt meines Vaters hatte auf meine Kameraden großen Eindruck gemacht. Nun wollten alle wissen, zu welcher Waffengattung er gehörte und was sein Job war. Um mich nicht zu blamieren, erfand ich auf die Schnelle eine Geschichte von einem streng geheimen U-Boot, das in schwedischen Gewässern unter der Leitung meines Vaters und im Auftrag der sowjetischen Regierung neue Waffen ausprobierte. Diese Geschichte hat mir zwar keiner so richtig abgekauft, aber die Ruhe war wiederhergestellt. Wenn ich die Wahrheit erzählt hätte, dass mein so toll uniformierter Vater eigentlich in einem Betrieb arbeitete, der Kämme und Zahnbürsten produzierte, hätte man mir das bestimmt noch weniger geglaubt. Dieser Besuch erinnerte mich an das schöne zivile Leben, das mir nach zwei Jahren im Wald nur noch wie ein Traum erschien.
    In der darauf folgenden Nacht, die ich wie immer auf meiner Relaisstation verbrachte, dachte ich zum ersten Mal gründlich über mein Leben nach. Andrej kam mich besuchen. Wir spielten Karten und unterhielten uns über dies und das. Draußen regnete es. Es war der Spätherbst 1988, die Bäume hatten schon längst ihre Blätter verloren und alle bereiteten sich auf einen langen Winter vor. Doch für uns Altgediente kam die Zeit, nach Hause zurückzukehren. Die zwei Jahre waren um. Wir setzten uns zu dritt auf den Berg Kaukasus und überlegten, wie wir von hier wegkommen könnten. Grischa schlug vor, einfach beim Stab aufzukreuzen und zu sagen: Wir wollen nach Hause. Andrej und ich bezweifelten, dass so ein Plan funktionieren könnte.
    Trotzdem gingen wir hin.
    ***
    »Ihr wollt nach Hause?« Der Schnurrbart unseres Obersts wurde steif vor Wut. »Niemals, hört ihr, niemals werdet ihr nach Hause kommen«, schrie er und warf uns aus dem Stab. Wir wehrten uns: »Was soll diese Scheiße«, schrien wir zurück, »wir haben zwei Jahre ehrlich gedient und wollen nach Hause!«
    Alles war umsonst. Am nächsten Tag beruhigte sich der Oberst und bestellte uns drei zu sich aufs Zimmer. Der Mann war unberechenbar wie ein Vulkan.
    »Ihr habt Recht, Jungs, eure Zeit ist um. Ihr wollt nach Hause? Gut. Dann leistet was, etwas richtig Schönes, und dann könnt ihr gehen.«
    »Wir haben schon so viel Schönes geleistet, Genosse Oberst«, erinnerten wir ihn. »Den Schwänebrunnen, den Berg Kaukasus, das Schwein, das wir im Wald geborgen haben...«
    »Nein, ich meine etwas wirklich Schönes«, brüllte der Oberst. »Kann einer von euch malen?«
    »Jawohl, Genosse Oberst«, sagten wir sofort. Wir wollten nach Hause.
    »Malt mir einen Soldaten, einen riesengroßen. Er soll Freude und Optimismus ausstrahlen, aber gleichzeitig auch den Feind warnen und die militärische Stärke unserer Armee unterstreichen. Also malt mir ein Plakat, fünf mal fünf Meter, oder noch besser sieben mal sieben Meter, das stelle ich vorne am Eingang auf, und ihr seid frei«, sagte der Oberst.
    Ich hatte immer schon eine Vorliebe für monumentale Kunst. Ab sofort waren wir drei, Grischa, Andrej und ich, vom Wachdienst suspendiert. Wir bekamen ein Fass grüne Farbe, einen Stapel Holzplatten und Pinsel. Keiner von uns konnte
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