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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition)
Autoren: Herfried Loose
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machten sie Radio und nicht Fernsehen, war als häufiges Argument geläufig.
  
Als sie das Lokal verließen, war der Nieselregen in einen handfesten Landregen übergegangen. Tobias ärgerte sich, dass er seinen Schirm im Wagen vergessen hatte. So schlüpfte er geduckt bei Sylvia mit unter ihren kleinen Damenschirm. Sie parkte zum Glück ganz in der Nähe seines Wagens und gab ihm Geleit, bis er trockenen Hauptes eingestiegen war. Sie warf ihm noch eine Kusshand zu und beeilte sich, einem vorbeifahrenden, Wasserkaskaden aufwirbelnden Bus elegant auszuweichen.
    In der Kanzlei angekommen, traf er auf Norbert Weidner, seinem Senior-Kompagnon. Nob, wie er von seinen Freunden genannt wurde, war gut fünfzehn Jahre älter als Tobias und hatte ihn, Tobias, sozusagen entdeckt. Ganz am Anfang seiner Karriere lernten sie sich auf einem Symposium zum modernen Strafrecht in Mainz kennen. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch und fanden Gefallen aneinander. Damals bot Nob ihm an, bei ihm anzufangen. Anfangs als Angestellter, doch weil Tobias sich schnell als talentierter Strafverteidiger erwies, bot Nob ihm nach nur drei Jahren eine dreißigprozentige Teilhaberschaft an. Das hatte sich für die Kanzlei vorteilhaft ausgewirkt, während Nob Verkehrs- und Familienrecht als Schwerpunkt zusätzlich zu seinem Notariat hatte, konnte Tobias seine Fähigkeiten als Strafverteidiger mit Schwerpunkt Wirtschaftsvergehen ergänzend einbringen.

Nob blickte von seinen Papieren auf, als er Tobias an seinem offen stehenden Büro vorbeigehen sah. »Na, alter Schwede, wieder siegreich aus der Schlacht gekommen?«
»Woher weißt du das schon wieder?« Tobias blieb auf Nobs Anruf hin stehen und grinste seinen Kompagnon an.
   »Man sieht es dir an!«, gab Nob verschmitzt zurück. »Hast du noch Termine für heute Nachmittag angenommen, oder machst du gleich Schluss?«
   »Ich sehe noch die Post durch und muss noch ein paar Sachen diktieren, dann ist Wochenende!«
   »Schön, schön, ich habe noch gleich ein Mandantengespräch. Falls wir uns nicht mehr sehen sollten, wünsche ich dir schon jetzt ein schönes Wochenende!«, kopfnickend wandte er sich wieder seinem Vorgang zu und Tobias ging ebenfalls grüßend zu seinem eigenen Büro.
   Ella, richtig: Manuela Steinbrink, ihre gemeinsame Empfangschefin, packte gerade ihre Sachen zusammen. Sie hatte Tobias den Tag über noch nicht zu Gesicht bekommen und so kam sie ihm lächelnd mit ausgestreckter Hand entgegen. »Hallo, Herr Steinhöfel, na - gewonnen?«
   »Ja, Ella. Auf ganzer Linie. Aus Mangel an Beweisen!«
   »Na, dann haben Sie sich ihr Wochenende redlich verdient. Ich packe gerade ein. Es kommt gleich noch ein Mandant für Herrn Weidner. Ich habe ihnen ihre dringende Post auf den Schreibtisch gelegt. Haben Sie noch etwas für mich?«
   »Nein, Ella, gehen Sie nur. Ich schaue mir die Post kurz durch und habe noch etwas zu diktieren. Das geht aber fix. Dann sehen wir uns am Montag! Erholen Sie sich gut!«
   »Ja, Sie auch - bis Montag dann!«

Tobias betrat sein helles, nüchternes Büro. Es war sehr puristisch eingerichtet. Wohin man sah, herrschte aufgeräumte Ordnung. Kein unnützes Ding stand oder lag herum. Der Raum entsprach ganz Tobias persönlichem Bedürfnis nach Sachlichkeit. Er konnte in keiner Atmosphäre der Unordnung und der verstaubten Fülle arbeiten, die er von Kollegenbüros her kannte. Sein Leitspruch war: Beschränkung auf das Wesentliche heißt Zeit und Nerven sparen und gibt den Gedanken Freiheit und Inspiration!
  In der Post fand er nichts außergewöhnlich Dringliches und so machte er sich daran, für den Vorgang, der in seinem Aktuell-Korb lag, noch eine dezidierte Antwort auf das Schreiben eines gegnerischen Kollegen in sein Aufnahmegerät zu diktieren.
   Während er konzentriert in das Mikrofon des Gerätes sprach, fiel sein Blick geistesabwesend auf das in einem silbernen Rahmen auf seinem Schreibtisch stehende Foto von Sylvia. Auf dem Bild hatte sie ihren Kopf schräg auf die Seite gelegt und schien ihm spöttisch amüsiert zuzulächeln. Ihre makellosen Zähne blitzten ihn fröhlich an, und er bemerkte, wie ihn die Konzentration verließ.
   Irritiert wandte er den Blick ab, spulte das Aufnahmegerät zurück und hörte seine letzten Worte noch einmal ab, um dann wieder seinen Faden aufzunehmen. Er beendete das Schreiben mit kollegialen Grüßen und steckte das Mikro zurück an das Gerät. Feierabend, dachte er,
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