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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition)
Autoren: Herfried Loose
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Gebäudes räumte. Ein Königsplatz sozusagen.

Sie lehnten sich zurück. Die von der Sonne aufgeheizte Holzwand wärmte ihre Rücken. Der Blick von hier war fantastisch. Man sah vor sich die beiden Frei-Eislaufbahnen, dahinter die romantische Seefelder Kirche mit dem Zwiebelturm und zur Linken den Rodelberg, auf dem fröhlich quietschende Kinder mit ihren Eltern herab fuhren. Hinter dem Rodelberg ragte der Gschwandtkopf auf. Der bewaldete, buckelförmige Berg hatte wirklich Ähnlichkeit mit der Schädelplatte eines Riesen. Die Abfahrt überwand zirka dreihundert Höhenmeter und stellte neben dem Seefelder Joch mit der Rosshütte die zweitlängste Ski-Abfahrt des Ortes da. Ganz im Hintergrund war das zerklüftete Gebirgsmassiv der Zillertaler Alpen zu sehen.
   Der Kellner kam und räumte ihren Tisch ab. Mit den Worten: Komme gleich wieder und nehme ihre Bestellung auf!, verschwand er. »Toller Bursche, hast du den gesehen?« Sylvia stieß Tobias mit den Ellbogen in die Seite.
   »Hm«, brummte er. Er kannte ihre begeisterungsfähige Art für gut aussehende Männer. Zum Glück war er nicht sehr eifersüchtig. Bei allen möglichen Gelegenheiten machte Sylvia ihn auf die Attraktivität anderer Männer aufmerksam. Er musterte sie von der Seite. Sie hatte ihre schwarze Sonnenbrille hoch geschoben und lehnte mit geschlossenen Augen an der Holzwand. Ihre aristokratischen, spitzen Nasenflügel bebten leicht beim Atmen. Der schlanke Hals und ihre süßen, kleinen Ohrläppchen betörten ihn immer wieder aufs Neue. Sie hatte sich die langen Haare erst vor einigen Monaten kurz schneiden lassen. Tobias bedauerte dies anfangs, doch mittlerweile gefiel ihm die sportlich freche Frisur sehr gut.
   »Gefalle ich dir noch?«, ließ sie sich vernehmen, ohne dass sie die Augen geöffnet hätte.
   »Woher weißt du, dass ich dich anschaue?« Tobias war immer wieder verblüfft über ihre weibliche Intuition.
   »Telepathie! Ich weiß immer genau was du denkst«, gurrte sie .
   »Ach ja, dann bräuchtest du ja nicht zu fragen.«
   »Ich höre es eben gern.«
   »Du siehst toll aus!«
   »Stimmt, du aber auch!« Sie öffnete die Lider, schaute ihn verführerisch an und kuschelte sich an ihn.      
   »Du glaubst gar nicht, wie wohl ich mich gerade fühle. Unglaublich wohl!« Tobias murmelte etwas Unverständliches. Auch ihm erging es so. Früher hatte er sich Winterurlaube nicht vorstellen können. Ihn hatte es bis dato immer ans Mittelmeer gelockt. Nachdem sie sich aber zufällig, durch den Rat eines Bekannten aufmerksam gemacht, Seefeld im Winter angeguckt hatten, war es um ihn geschehen - er hatte sich in den Ort verguckt.
   Sylvia mochte den Charme des Ortes zwar auch, aber eigentlich zog es sie mehr nach St. Moritz oder in die Dolomiten, denn sie liebte den dortigen Lifestyle und nicht zuletzt den Jetset. Deswegen strengte sich Tobias immer an, ihr hier in Seefeld auch etwas zu bieten. Ein Riesenvorteil war dabei, dass der Ort ein Spielcasino besaß, und es gab darüber hinaus auch einige Szenetreffs.
   Der gut aussehende Kellner kam zurück und nahm die Bestellung auf. Sylvias Telepathie musste auch auf ihn gewirkt haben, jedenfalls sah er sie in Anbetracht der Tatsache, dass sie hier in Herrenbegleitung war, reichlich verführerisch an. Eigentlich ziemlich unangebracht, fand Tobias. Nachdem sie die Spezialität des Hauses, Marillenknödel, genossen hatten, blieben sie noch so lange sitzen, bis der Schlagschatten des gegenüber liegenden Hügels sie erreichte, hinter dem die goldenen Strahlen der versinkenden Sonne binnen Sekunden verschwanden.
Sie zahlten und kehrten ins Hotel zurück. Den Abend ließen sie im bekannten Szenetreff Siglu ausklingen. Es wurde eine lange Nacht, und es ging hoch her. Sylvia war ganz in ihrem Element. An der Rundbar des Siglu hatten sie Schorsch, den Skilehrer kennen gelernt. Schorsch war ein Tiroler Urgestein, der die unglaublichsten Geschichten erzählen konnte. Auch Tobias genoss den Abend. Er hörte den Tiroler Dialekt sehr gern. Die Stimmung war super - so konnte der Urlaub weitergehen. Schorsch erklärte sich zu vorgerückter Stunde bereit, ihnen am nächsten Morgen, Punkt zehn Uhr, zwei Stunden Privat-Skiunterricht zu geben.

Der vierundzwanzigste Dezember brach mit bestem Sonnenwetter an. Sie fuhren mit dem Skibus zum Sessellift des Gschwandtkopf, wo Schorsch mit signalroter Skijacke und Pudelmütze auf sie wartete. Ihm schien die lange Nacht
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