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Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Mick Jagger: Rebell und Rockstar

Titel: Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Autoren: Marc Spitz
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Doppeldeutigkeiten, was sogar Schüler schon begriffen.
    Bei seinen ersten sexuellen Erfahrungen verstieß Mick wahrscheinlich kaum gegen die Regeln der seinerzeit üblichen Geschlechtertrennung. Die heranwachsenden Knaben betrachteten und erforschten ihre sich verändernden Körper mit einer Mischung aus Faszination und Angst. »Ich glaube, das ist bei allen Jungs so«, sagte Mick einmal. Mit vierzehn war er immer noch linkisch und von Pickeln gezeichnet. Er bestand größtenteils aus Ohren und Lippen, seine Gesichtszüge mussten erst noch jene fremdartige, majestätische Attraktivität entwickeln, die er mit Anfang zwanzig schließlich besitzen sollte. Doch der R’n’B verschaffte ihm eine gewisse Selbstsicherheit und damit auch eine besondere Ausstrahlung, wozu auch sein Talent beitrug, die meist schwarzen Bluessänger so überzeugend imitieren zu können, dass er sich wie ein echter Südstaatler anhörte. »Er konnte einfach verdammt gut nachahmen«, sagt Dick Taylor. »Er kniete sich richtig rein, die ganzen Texte auswendig zu lernen und mit all den verschiedenen Akzenten zu singen.« Selbst seinen Vater beeindruckte, dass er sich der Musik mit derselben Hingabe widmete wie dem Sport und seinen schulischen Verpflichtungen: »Ich hatte noch nie einen Jugendlichen getroffen, der sich den Dingen derart analytisch nähert«, sagte Joe Jagger. »Wenn er einen dieser Songs sang, klang das absolut originalgetreu.« Auf die jungen Mädchen aus Dartford übte Mick dadurch eine völlig neue Faszination aus. Er übernahm gewissermaßen stellvertretend die Rolle desjenigen, der den Sound, die Power und den Sex dieser in England noch weitgehend unbekannten Musik heraufbeschwor. Die Musik der Schwarzen gab ihm die Art Selbstvertrauen, die er im Sport nicht finden konnte. »Das kam bei den Mädels an«, so Taylor. »Wer ein Instrument spielen und singen konnte, hatte bessere Chancen bei ihnen. Damit kam man an die süßen Mädels ran.«
    Anfang der 60er entwickelte sich Mick vom willkürlichen Plattenkäufer zum anspruchsvollen Sammler, und immer öfter hatte er eine Liste mit aktuellen Lieblingssongs, die er gut singen konnte. Als Mick, Taylor und ein weiterer Schulfreund namens Bob Beckwith schließlich den waghalsigen Sprung vom Fan zum echten Bluesmusiker unternahmen, stand außer Frage, dass Mick die Rolle des Sängers übernahm. Als er im Gemeindesaal in Dartford mit seiner ersten Band Little Boy Blue and the Blue Boys zum ersten Mal öffentlich auftrat, war es für Mick noch ein weiter Weg bis hin zur Wiege des Blues in Clarksdale, Mississippi. Doch ob er es nun ahnte oder nicht, er stand schon damals mit beiden Beinen fest auf dem heiligen Boden der legendären Crossroad, wo Robert Johnson dem Teufel sein Seele verkauft haben soll, um den Blues richtig spielen zu können.
    Nachdem Mick seinen Schulabschluss mit Bravour gemacht hatte, wurde er an der renommierten London School of Economics aufgenommen, die schon etliche hochrangige Politiker und Banker hervorgebracht hatte. Seinen Eltern imponierte er damit sehr. Das lateinische Motto der LSE passte hervorragend zu dem wissbegierigen und alles hinterfragenden Teenager: »rerum cognoscere causus«, was frei übersetzt »den Dingen auf den Grund gehen« bedeutet. Die Ökonomie berührt viele wichtige Grundsatzthemen und setzt sich auch mit der Gesellschaftsordnung und Fragen nach Wohlstand und Armut auseinander. Es geht dabei nicht um reine Mathematik oder eine Anleitung zum schnellen Geldverdienen, wie es diejenigen kolportieren, die Jagger verunglimpfen wollen. Nicht von ungefähr wurde die LSE Ende der 60er-Jahre zu einer Keimzelle der britischen Studentenbewegung. Es gab also im Sommer 1961 kaum Grund daran zu zweifeln, dass Mick ein erfolgreicher Banker würde. Ernsthafte Karrierepläne mit Little Boy Blue wird er gewiss nicht gehabt haben, auch wenn er großen Spaß daran hatte, Blues zu spielen. »Wir waren eine Schülerband«, erinnert sich Taylor. »So was wie Karriere hatten wir überhaupt nicht im Sinn. Wir dachten einfach: ›Lasst es uns tun.‹ Wir fragten uns nicht, wie das alles weitergehen oder wohin es führen sollte.« Mick lebte damals noch bei seinen Eltern und fuhr regelmäßig mit dem Zug zum Studieren nach London.
    Ironischerweise kam es zu der schicksalhaften Wendung, durch die Mick zum professionellen Musiker werden sollte, auf einer Heimfahrt vom Houghton-Street-Campus im Frühherbst 1961. Er stand gerade auf dem Bahnsteig, wie gewöhnlich mit
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