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MERS

MERS

Titel: MERS
Autoren: D.G. Compton
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lassen. Eine Ecke lag in der Milch.
Sie versuchte, die Zeitung zusammenzufalten, aber die Blätter
waren zu groß für sie. Das Rascheln jedoch verströmte
Gemütlichkeit und füllte das Schweigen.
    Mamas Hände zitterten beim Rauchen. Sie zog Dannos Stuhl vom
Tisch zurück und setzte sich darauf. Sie sprach mit Papa.
»Dieser Junge braucht eine Behandlung.«
    »Brauchen sie alle.« Er legte Messer und Gabel auf
seinem eibeschmierten Teller zu einem rechten Winkel. »Alle
Jungen in seiner Klasse brauchen eine Therapie. Vielleicht in der
ganzen Schule.«
    »Nein. Daniel ist schlimmer. Das weiß ich. Denk dran
– ich rede mit den anderen Müttern.«
    »Vielleicht wollen die anderen Mütter es nicht zugeben,
Bess. Du etwa?«
    »Ich, alter Freund? Ich prahle damit herum!«
    Papa zuckte zusammen. »Ich werde mit ihm reden.«
    »Du?« Sie bremste sich, dachte an Harriet und
preßte fest die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Sie
wandte sich um. »Harri, dieses Kleid ist eine einzige
Katastrophe. Wie konntest du nur!« Sie schüttelte
sie ärgerlich. Harriet war erfreut über die Ungerechtigkeit
und wünschte sich, Danno wäre hier, damit er das mitbekam.
»Ich muß dich umziehen, mein Mädchen. Und zwar rasch,
sonst kommen wir zu spät zur Schule.«
    Als sie aus dem Raum geschleift wurde, hörte Harriet ihren
Vater ruhig zur Kaffeekanne sagen: »Ich werde ein
Wörtchen mit ihm reden. Das werde ich wirklich tun!«
    Papa sprach oft zur Kaffeekanne, wenn er sich unbeobachtet
glaubte.
     
    Mama nahm sie in ihr dunkles, kleines, rosafarben tapeziertes
Zimmer mit, das nach vorn hinaus im Souterrain lag. Durchs Fenster
sah man auf weiße Ziegelsteine sowie ein rostiges Gitter,
über das Leute gingen. Spinnen lebten in den Steinen.
    »Dieser Junge braucht eine Behandlung.« Bess zog Harriet
das Kleid über den Kopf und tat ihr dabei an den Ohren weh.
»So kann es nicht weitergehen.«
    Die Mischung aus Milch und Tomatenketchup war bis auf ihr
Unterhemd durchgegangen. Das mußte ebenfalls herunter. Und so
würde es jahrelang weitergehen. Geschlagene sieben Jahre, bis
Daniel von zu Hause fort und zur Armee ging.
    Harriet wurde ins Bad nebenan gebracht. Sie stand neben dem
Waschbecken und wurde herumgestoßen, während ihre Mutter
sie wusch und ihr andere Kleider anzog. Sie beklagte sich nicht
– die Sache mit ihrem Bruder war bereits schlimm genug. Aber es
gefiel ihr, angezogen zu werden. Herumgestoßen zu werden.
    Johan, der jetzt zur Arbeit gehen mußte, war oben am
Vordereingang seinem Sohn begegnet. Keiner war dafür bereit. Sie
drückten sich gegen die rauhen Holzwände, waren einander in
dem schmalen Flur ungemütlich nahe. Papa war zu groß,
bemerkte Daniel jäh, um in einem so hohen, kleinen Haus zu
wohnen. Und jene Frau sagte fünf Minuten nachdem er sich
angezogen hatte, er sähe verboten aus. In Gedanken streckte
Daniel die Hände aus und umarmte die dicken Oberschenkel seines
Vaters. Ein Diesel-Lieferwagen fuhr draußen auf der
Straße vorüber. Es hörte sich an, als ob er
hereinkäme. Es war Mittwoch. Lastwagen durften nur an jeweils
abwechselnden Wochentagen in die Stadt.
    »Ich weiß, glaube ich, wie du dich fühlst«,
sagte Johan schließlich. »Ich… ich hab immer meine
Zeitung. Um mich dahinter zu verstecken, meine ich. Aber du… Die
Sache ist die, Mama liebt ihr Morgenfernsehen. Es bedeutet den
Unterschied – man braucht sich nicht zu erinnern. Und wer
dürfte auch schon sagen, daß diese Predigerin unrecht
hätte?« Er rieb sich mit einem Handrücken über
das bärtige Gesicht. »Vielleicht solltest du dir ein Buch
besorgen, Danno. Irgendwas, das du zum Frühstück lesen
könntest, irgendwas, wohinter du dich verstecken
könntest.«
    Daniel zog die Schultern hoch und blickte dabei verlegen auf das
Auto in seiner Hand. Es war ein gepanzerter Mannschaftswagen von der
Größe seiner Hand, gespritzt in den Farben der Vereinten
Nationen. Er hatte nichts gegen die Fernseh-Predigerin. Sie war Teil
des Frühstücks, halt einfach ein Gesicht und eine Nase.
    »Danno? Ich muß jetzt zur Arbeit.«
    Von ihm wurde eine Antwort erwartet. »Tut mir leid,
Papa.«
    Sein Vater seufzte. Seine Gefühle standen ihm deutlich ins
Gesicht geschrieben: Enttäuschung und Verärgerung. Er griff
an Daniel vorbei nach seinem Anorak, der an der Wand hinter der
Tür hing, zog ihn an und beugte sich ins Treppenhaus hinab.
    »Ich geh jetzt, Bess. Tschüs, Harri. Arbeite hart. Lerne
viel!«
    Daniels Lippen bewegten sich zusammen mit den
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