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Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Sophie Heeger
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Termins.«
    Die polizeiliche Befragung des behandelnden Psychiaters gehörte zur Routine, und die Frage nach Selbstmord oder Fremdeinwirkung war ein wichtiges Puzzleteil im Rahmen der Ermittlungen. Da bei depressiven Patienten die Selbstmordrate immens ist, gewöhnte man sich als behandelnder Arzt zwar nicht an die Selbstmörder, die einem das Gefühl des persönlichen Versagens gaben, aber man gewöhnte sich an die regelmäßigen Besuche der Polizeibeamten. Für Lea war der Umstand, dass Patienten sich das Leben nahmen, bevor sie die Chance bekam, ihnen zu helfen, immer mal wieder Anlass gewesen, an ihrer Wahl des Fachgebietes Neurologie und Psychiatrie zu zweifeln.
    »Ich werde mich beeilen. Verschieben Sie bitte die nächsten Termine jeweils eine halbe Stunde nach hinten.«

    Etwa eine halbe Stunde später versuchte Lea, ihren VW Passat in eine Parklücke in der Nähe der Augustinerstraße, inmitten der Altstadt von Mainz, zu zwängen. Gute Gegend für eine Praxis. Die alten Häuser, Fachwerk und Historismus in bunter Reihe, dazwischen eine Kirche. Die Parksituation war allerdings grauenvoll, und die Damen in den blauen Uniformen mit dem Kästchen in der Hand unerbittlich. Wehe, man übersah ein Schild mit dem Hinweis auf Anwohnerparken. – »Es ist fast billiger, sich eine Wohnung mit Anwohnerparkscheinberechtigung in der Nähe der Praxis zu mieten, als die beständige Flut von Strafzetteln zu bezahlen«, hatte Lea sich bei ihrem Ehemann Sören beschwert.
    »Noch ein kleines Stückchen nach vorne und links einschlagen«, rief es plötzlich von schräg hinten. Vor dem italienischen Restaurant auf der anderen Straßenseite stand Giulio und trocknete sich gerade die Finger an einem großen Küchenhandtuch ab. Lea kurbelte das Seitenfenster herunter und winkte ihm zu.
    »Du sagst aber rechtzeitig Stopp und nicht erst, wenn ich auf der anderen Karosserie sitze«, rief sie ihm zu, und er grinste.
    »Einen neuen Wagen könntest du schon gebrauchen. Oder willst du den fahren, bis er unter dir zusammenbricht?« Er zeigte abschätzig auf Leas Auto, das bereits zwölf Dienstjahre auf dem Buckel hatte, und von dem sie sich genauso schlecht trennen konnte wie von vielem anderen, Menschen eingeschlossen.
    Nachdem Giulio sie in die Parklücke gelotst hatte, griff sie ihre Tasche, in der sie immer tausend Kleinigkeiten mit sich herumtrug und ohne die sie sich heimatlos fühlte, und ging zu ihm hinüber. Giulio war überaus gutaussehend, 1,85 groß, gewelltes, dunkles Haar und ein klassisch römisches Gesicht, obwohl er ursprünglich aus einem kleinen Ort in der Nähe von Brindisi kam. Schon im Alter von drei Jahren war er mit seinem Vater nach Mainz gekommen. Abgesehen von seltenen Temperamentsausbrüchen wirkte er, als würde er den ganzen Tag »O sole mio« vor sich hinsummen. Nachdem er das väterliche Restaurant übernommen und modernisiert hatte, war es ein wahrer Publikumsmagnet geworden; man musste Wochen im Voraus reservieren. Im Bella Romana war nicht nur die Stimmung einzigartig, auch seine italienische Küche war etwas ganz Besonderes.
    »Soll ich euch in der Mittagspause etwas bringen?«, fragte er Lea.
    »Ich weiß nicht, ich frage die anderen. Wir melden uns rechtzeitig.« Lea wandte sich Richtung Augustinerstraße und winkte ihm mit einem Lächeln zu, »bis später«.
    »Ciao, bella«, klang es melodisch hinter ihr her, als sie die wenigen Schritte zu dem Haus ging, in dessen zweitem Stock sich die Gemeinschaftspraxis mit ihrem Kollegen Ullrich Köller befand. Die Praxis war vor drei Jahren renoviert worden. Jedes Mal beim Betreten der hellen Räume, die mit Birkenholzmöbeln, Spiegeln, großen Pflanzen und Lichtleisten ausgestattet waren, freute sie sich an der behaglichen Atmosphäre.
    »Wenn die Patienten schon mit düsteren Stimmungen hier sitzen, brauchen wir dringend ein Gegengewicht«, hatte sie zu Ullrich vor der Renovierung gesagt. Dies hatte eine junge Innenarchitektin mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Leas Lieblingsraum war der Wartebereich, der an der Decke einen großen dunkelblauen Kreis mit eingelassenen Halogenlämpchen aufwies. Unter dem »Sternenhimmel« war an diesem Morgen jeder Platz besetzt.
    »Gute Güte«, murmelte Lea, obwohl ihr klar war, dass die Praxis in der dunklen Jahreszeit Hochkonjunktur hatte. Die depressiven Erkrankungen legten in ihrer Intensität noch einmal tüchtig zu, um dann kurz vor den Weihnachtsfeiertagen Rekordniveau zu erreichen. Zusätzlich zu den täglichen
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