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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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begann die Treppe hinabzusteigen. Es schäumte kein Wasser über die Rän der, es war vielmehr, als zöge sich das Meer auseinander . Es verdichtete sich zu beiden Seiten, und er stieg zwischen zwei schimmernden Wänden aus Wasser die Stufen hinab.
    Die Treppe war glitschig von Seegras, Tangblasen platzten leise, wenn er vorsichtig die Füße aufsetzte. Er rutschte aus und musste sich auf der nächsthöheren Stufe abstützen.
    Das ist nicht für Menschen  …
    Sein Gefühl, das Meer zu sein, blieb, aber sein altes Bewusstsein drängte sich ihm auf und begann, durch jene Leichtigkeit hindurch zu ihm zu sprechen, die es ihm erlaubte, eine Treppe in die Tiefe hinabzusteigen.
    Das ist nicht für Menschen gemacht. Du wirst sterben.
    Sicher. Aber das hatte er doch schon akzeptiert, nicht wahr? Er hatte ja nicht einmal das nötige Benzin, um in die normale Welt zurückzukehren, benötigte keinen Kraftstoff mehr. Jetzt würde er diese Treppe nehmen und schauen, wohin sie führte. Danach gab es nichts mehr.
    Maja.
    Er würde Maja begegnen.
    Mittlerweile war er sechs Treppenstufen hinabgestiegen. Die linke Hand schloss sich um den Puschel an seiner Hüfte und führte ihn noch stärker zu seinem menschlichen Körper und Bewusstsein zurück. Es rauschte über seinem Kopf, und fast alles Licht verschwand. Er wandte sich um.
    Nur vereinzelt drang das Himmelslicht schwach durch den wütend kämpfenden Block aus Vögeln, der in die Passage eingedrungen war, um ihm zu folgen. Das Flattern ihrer Flügel fächelte Luft auf sein Gesicht, und als wären die Lungen der Vögel zusammengepresst worden oder als hätte sich die Akustik verändert, hörte man jetzt nur noch ein Piepsen und Quaken aus ihren Kehlen, während sie darum kämpften, Abstand zu halten, ihm aber dennoch zu folgen.
    Einzelne Möwen wurden an die Ränder und durch die Wasserwände gepresst und zur Oberfläche gesogen. Ein verletzter Vogel fiel zwei Treppenstufen vor ihm herab, schlug auf den Stein und blieb reglos liegen.
    Das geht nicht …
    Anders bat das Wasser, sich langsam um die Möwen zu schließen. Die Passage schrumpfte, und die Vögel warfen sich über die Ränder oder tauchten ins Wasser, schwammen ein paar Züge und stiegen anschließend auf. Es wurde still. Anders stand in einer Luftblase auf der sechsten Treppenstufe, und es war so dunkel wie im letzten Licht der Abenddämmerung. Er konnte die nächste Treppenstufe erahnen, mehr aber auch nicht.
    Er stieg hinab.
    Nach sieben weiteren Treppenstufen herrschte um ihn herum fast völlige Dunkelheit. Das Seegras und der Tang wurden ausgedünnt und verschwanden. Wenn er den Kopf hob, sah er hoch über sich dunkelblau wie ein Sommernachtshimmel die Oberfläche, aber es drang kaum noch Licht zu ihm herab. Er ging weiter.
    Je tiefer er kam, desto flacher wurden die Treppenstufen. Als er dreißig oder vierzig Meter durch völlige Finsternis gegangen war, hatten sie die gleichen Proportionen wie bei einer ganz normalen Treppe. Er hatte jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren, war nichts als ein Körper, der sich abwärtsbewegte. Um den Kontakt zu sich selbst nicht zu verlieren und von der Dunkelheit verschluckt zu werden, begann er die Stufen zu zählen.
    Er beschwor die Zahlen in gelber Schrift auf der Schreibtafel der Dunkelheit herauf. Er schmückte sie mit Blütengirlanden und ließ kleine Tiere zwischen ihnen hoppeln, um die endgültige Abkoppelung von dem zu verhindern, was er selbst war, ein denkendes Wesen. Er ging. Er ging.
    Neunundsiebzig … achtzig … einundachtzig … zweiundachtzig …
    Er war so damit beschäftigt, seine Zahlen auszuschmücken und farbig zu gestalten und weiter ein Mensch zu sein in der großen Dunkelheit, dass er es nicht bemerkte, als es passierte. In einer Denkpause, in der er überlegte, ob er ein Eichhörnchen oder eine Elster auf den Ast setzen sollte, der von der Zweiund achtzig ausging, wurde ihm bewusst, dass die Treppe nicht mehr abwärts-, sondern aufwärtsführte.
    Er blieb stehen. Schaute sich um. Vergeblich. Es herrschte völlige Dunkelheit. Er hätte schwören können, dass er zu keinem Treppenabsatz gekommen war, keiner Stelle, an der die Treppe nach unten aufhörte und eine andere Treppe nach oben begann. An irgendeinem Punkt hatte die Treppe … ihre Richtung geändert.
    Er versuchte sich vor Augen zu führen, wie eine solche Konstruktion möglich sein konnte. Es ging nicht. Das Einzige, was den Voraussetzungen halbwegs entsprach, war eine Treppe, die
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