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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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erlebt hatte. Döne lief dabei unruhig hin und her.
    Die Nachricht verbreitete sich mit Windeseile. Die Dorfbewohner, alte und junge Frauen und Männer, drängten sich vor Dönes Haus. Unter dem Mondlicht wogte und lärmte die Menge. Aber plötzlich verstummten alle, die Köpfe wandten sich nach Süden. Ein Reiter kam mit glitzerndem Zaumzeug von dort. Er näherte sich, teilte die Menge und brachte sein Pferd in ihrer Mitte zum Stehen. »Döne, Döne!« schrie er.
    Eine schwache Frauenstimme gab Antwort: »Zu Befehl, Abdi Aga?«
    »Habe ich richtig gehört, Döne?«
    Döne eilte nach vom, stellte sich neben das Pferd. »Hösük die Runkelrübe hat ihn gesehen, Aga. Er war bei mir und hat es gesagt.«
    »Wo ist der Pandschar?« dröhnte es von oben. »Er soll zu mir kommen.«
    »Hösük ist nicht hier!« rief es aus der Menge. »Der geht nicht aus seinem Haus, und wenn die Welt untergeht.«
    »Bringt mir den Hösük her, habe ich gesagt!«
    Bis zur Ankunft des Alten herrschte Schweigen. Zwei Mann schleppten ihn an, er war in Hemd und Unterhose, stieß Verwünschungen aus: »Was wollt ihr so spät noch von mir, ihr Schurken? Allah soll euch strafen!«
    »Ich habe dich holen lassen, Hösük!« Abdi Agas Stimme klang schneidend.
    Der Alte fiel zusammen. »Vergebung, Aga! Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß mich der Aga ruft, Schufte?«
    Er wandte sich dem Aga zu: »Verzeih mir, mein Aga!
    Stimmt es, daß du Dönes Sohn gesehen hast?«
    »Ich habe es Döne gesagt ...«
    »Dann wirst du es wohl auch mir sagen?« Hösük die Runkelrübe mußte seinen Bericht wiederholen, während die Menge ihn umdrängte. Er ließ keine Einzelheit aus, erzählte, wie er Memed um ein Haar mit der Sichel über den Kopf geschlagen hätte ...
    Abdi Aga tobte. »Süleyman also! Süleyman erfrecht sich, mir meine Leute vor der Tür wegzuschnappen und zu seinen Hirten zu machen! Aber Süleymans Maß ist voll! - Du meinst doch den Süleyman vom Dorf Kesme, wie?«
    »Ja, den.«
    »Morgen hole ich ihn zurück!« rief er Döne zu.
    Abdi Aga gab seinem Pferd die Sporen. Die Menge murmelte hinter ihm her.
    Erst vor Süleymans Tür brachte Abdi Aga sein galoppierendes Pferd zum Stehen.
    »Süleyman! Süleyman!«
    Süleyman trat vor die Tür. Er wurde aschfahl, als er den Reiter erkannte. Der Aga beugte sich vom Pferd herab. »Süleyman! Schämst du dich denn nicht, mir meine Leute wegzuholen? Hast du überhaupt kein Gefühl für Anstand? Als ob Abdi einer wäre, dem man einfach einen Mann wegfängt! So was hat es noch nie gegeben. Schade um dich, Süleyman, mit deinem weißen Bart!«
    »Steigt doch erst ab, Aga«, bat Süleyman. »Ich will Euch alles der Reihe nach erklären ... «
    »Dein Haus betrete ich nicht. Wo ist der Bursche? Sag, wo steckt er?«
    »Bitte bemüht Euch nicht, Herr. Ich hole ihn sofort.«
    »Spar dir deine Reden! Zeig mir, wo der Kerl ist Süleyman senkte den Kopf »Gehen wir, Aga.«
    Er schritt vor dem Pferd her. Bis sie die Ziegen erreichten, sprach keiner von beiden ein Wort.
    Memed saß in Gedanken versunken auf einem Stein. Als er Süleyman mit Abdi Aga auf sich zukommen sah, stand er auf, ging ihnen entgegen, als habe er nichts anderes erwartet. Sein Blick traf Süleyman. Der alte Mann sah zu Boden, in seinen Zügen lag die Hoffnungslosigkeit dessen, der sich in das Schicksal ergibt.
    Abdi Aga trieb sein Pferd näher an Memed heran. »Los! Vor mich!«
    Stumm, mit eingezogenem Kopf, lief der Knabe vor dem Pferd her.
    Es war Mittag, als sie im Dorf anlangten, Memed vorn, Abdi Aga dicht hinter ihm reitend. Auf dem Wege hatte der Aga kein Wort gesprochen. Aber Memed war halb tot vor Angst, er könnte das Pferd antreiben und ihn zertrampeln. Er kannte seine Methoden. Vor Dönes Tür hielten sie an. »Döne, Döne, da hast du deinen Hund!« rief Abdi Aga.
    Döne erschien, der Aga wandte sein Pferd. Mit einem Aufschrei schloß sie ihren Sohn in die Arme.
    Bald fanden sich die Dorfleute ein. Nach und nach bildete sich ein Kreis um Memed. jeder stellte eine Frage:
    »Wo warst du, Memed?«
    »Wie siehst du aus, Memed!«
    »Heraus mit der Sprache, Memed!«
    Auf die vielen Fragen schaute er nur stumm vor sich nieder. Die Menge wuchs immer mehr an.

5
    Memed warf auch noch das letzte Korn auf die Tenne. Während des Schneidens hatte es ununterbrochen geregnet. Die von der Feuchtigkeit aneinanderklebenden Halme verbreiteten einen dichten schwarzen Staub. Memed hatte vom frühen Morgen an seine Garben auf den Haufen geworfen. In seinem
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