Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
vernachlässigt hätte, mit Schuld daran. Als dieser Gedan-kenkreis in mir fertig geworden war, hütete ich den Blu-mentopf mit Angst und Eifersucht wie einen Schatz, in welchem besondere, nur mir bekannte und anvertraute Zau berkräfte verschlossen wären.
    Drei oder vier Tage nach meinem ersten Besuch – die Pfl anze sah noch ziemlich kümmerlich aus – ging ich wieder ins Nachbarhaus hinüber. Brosi mußte ganz still liegen, und da ich nichts zu sagen hatte, stand ich nahe am Bett und sah das nach oben gerichtete Gesicht des Kranken an, das zart und warm aus weißen Bett-Tü-
    chern schaute. Er machte hin und wieder die Augen auf und wieder zu, sonst bewegte er sich nicht, und ein klü-
    gerer und älterer Zuschauer hätte viel leicht etwas davon gefühlt, daß des kleinen Brosi Seele schon unruhig war und sich auf die Heimkehr besinnen wollte. Als gerade eine Angst vor der Stille des Stübleins über mich kommen wollte, trat die Nachbarin herein und holte mich freundlich und leisen Schrittes weg.
    Das nächste Mal kam ich mit viel froherem Herzen, denn zu Hause trieb mein Blumenstock mit neuer Lust 31
    und Kraft seine spitzigen freudigen Blätter heraus. Diesmal war auch der Kranke sehr munter.
    »Weißt du auch noch, wie der Jakob noch am Leben war?« fragte er mich.
    Und wir erinnerten uns an den Raben und sprachen von ihm, ahmten die drei Wörtlein nach, die er hatte sagen kön nen, und redeten mit Begierde und Sehnsucht von einem grau und roten Papagei, der sich vorzeiten einmal hierher verirrt haben sollte. Ich kam ins Plaudern, und während der Brosi bald wieder ermüdete, hatte ich sein Kranksein für den Augenblick ganz vergessen. Ich erzählte die Geschichte vom entfl ogenen Papagei, die zu den Legenden unseres Hauses gehörte. Ihr Glanz-punkt war der, daß ein alter Hofknecht den schönen Vogel auf dem Dach des Schuppens sitzen sah, sogleich eine Leiter anlegte und ihn einfangen wollte. Als er auf dem Dach erschien und sich dem Papagei vorsichtig nä-
    herte, sagte dieser: »Guten Tag!« Da zog der Knecht seine Kappe herunter und sagte: »Bitt um Vergebung, jetzt hätt ich fast gemeint, Ihr wäret ein Vogeltier.«
    Als ich das erzählt hatte, dachte ich, der Brosi müsse nun notwendig laut hinauslachen. Da er es nicht gleich tat, sah ich ihn ganz verwundert an. Ich sah ihn fein und herzlich lächeln, und seine Backen waren ein wenig röter als vorher, aber er sagte nichts und lachte nicht laut.
    Da kam es mir plötzlich vor, als sei er um viele Jahre älter als ich. Meine Lustigkeit war im Augenblick erloschen, statt ihrer befi el mich Verwirrung und Bangig-32
    keit, denn ich empfand wohl, daß zwischen uns beiden jetzt etwas Neues fremd und störend aufgewachsen sei.
    Es surrte eine große Winterfl iege durchs Zimmer, und ich fragte, ob ich sie fangen solle.
    »Nein, laß sie doch!« sagte der Brosi.
    Auch das kam mir vor wie von einem Erwachsenen
    gespro chen. Befangen ging ich fort.
    Auf dem Heimweg empfand ich zum erstenmal in meinem Leben etwas von der ahnungsvollen verschleierten Schönheit des Vorfrühlings, das ich erst um Jahre später, ganz am Ende der Knabenzeiten, wieder gespürt habe.
    Was es war und wie es kam, weiß ich nicht. Ich erinnere mich aber, daß ein lauer Wind strich, daß feuchte dunkle Erdschollen am Rande der Äcker aufragten und streifen weise blank erglänzten und daß ein besonderer Föhngeruch in der Luft war. Ich erinnere mich auch dessen, daß ich eine Melodie summen wollte und gleich wieder aufhörte, weil ir gendetwas mich bedrückte und still machte.
    Dieser kurze Heimweg vom Nachbarhaus ist mir eine merkwürdig tiefe Erinnerung. Ich weiß kaum etwas Einzel nes mehr davon; aber zuweilen, wenn es mir ge-gönnt ist, mit geschlossenen Augen mich dahin zurück-zufi nden, meine ich die Erde noch einmal mit Kindesau-gen zu sehen – als Ge schenk und Schöpfung Gottes, im leise glühenden Träumen unberührter Schönheit, wie wir Alten sie sonst nur aus den Werken der Künstler und Dichter kennen. Der Weg war viel leicht nicht ganz 33
    zweihundert Schritt lang, aber es lebte und geschah auf ihm und über ihm und an seinem Rande unend lich viel mehr als auf mancher ganzen Reise, die ich später un-ternommen habe.
    Es streckten kahle Obstbäume verschlungene und
    dro hende Äste und von den feinen Zweigspitzen rotbraune und harzige Knospen in die Luft, über sie hinweg ging Wind und schwärmende Wolkenfl ucht, unter ihnen quoll die nackte Erde in der Frühlingsgärung.
    Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher