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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
Autoren: Christopher Kloeble
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schwarz ist, dann schluckt sie den Raum, den ganzen Himmel, und macht das Draußen viel kleiner.«
    Sie blickte in verschiedene Richtungen. »Es ist, als wäre ich in einer Kammer. Einer sehr, sehr großen Kammer.«
    »Es ist immer das wahr, an das zu glauben man sich entscheidet.«
    »Danke, Ludwig.« Selbst jetzt war an ihrem Gesicht keine Emotion abzulesen. »Ich schulde dir was.«
    »Unsinn«, sagte ich. »Es geht dir besser. Das ist Belohnung genug.«
    »Ich schulde dir was«, wiederholte sie ernst.
    »Was könnte eine junge Frau wie du schon für einen Achtundsechzigjährigen tun.«
    Alfonsa verkniff sich einen Kommentar. »Hast du keinen Wunsch? Gar keinen? Du musst doch einen haben.«
    Ich sagte: »U-E.«
     
    Ich hätte mir einfach ein Lächeln wünschen sollen. Stattdessen schlug ich vor, dass sie mich bei nächtlichen Spazierfahrten begleitete. Um das Kloster herum. Gegen den Uhrzeigersinn.
    Die Oberflächlichkeit unserer Unterhaltungen war bezeichnend
für unsere Befürchtung, dieser Freundschaft zu viel Bedeutung beizumessen. Uns verband die Erfahrung, dass es gefährlich war, Menschen zu nah an sich heranzulassen. Sie hatte uns beide an diesen Ort geführt. Wir waren Außenseiter in Sankt Helena, wir fühlten uns um ein besseres Leben betrogen, hatten uns aber damit abgefunden. In einer anderen Welt wären wir glücklicher gewesen. Hier lernten wir das größtmögliche Glück der Unglücklichen schätzen: Zufriedenheit.
     
    Zu meinem neunundsechzigsten Geburtstag, im Mai 1982, schenkte mir Alfonsa eine Kassette mit ihren Lieblingssongs von Frank Sinatra, und ich musste ihr gestehen, dass ich keinen Rekorder besaß, worauf sie mir, nach einem unserer Spaziergänge abends, ihren brachte und den Stecker neben meinem Bett einstöpselte und die Abspieltaste drückte.
And guess who sighs his lullabies through nights that never end? My fickle friend, the summer wind.
    Wir saßen einander gegenüber, ich im Rollstuhl, sie auf dem Hocker, auf dem sie stets Platz nahm, wenn ich ihr Schachspielen beibrachte, und lauschten der Musik. Alfonsa war, wenn man genau hinsah, mit dem Oberkörper leicht zur Seite geneigt, die Hände hatte sie im Schoß gefaltet, den Blick auf die sich drehenden Zahnräder des Kassettenrekorders gerichtet. Selbst wenn sie entspannt war, machte sie ihrem Namen alle Ehre. Ich spürte plötzlich, dass sie spürte, dass ich sie betrachtete, und schloss die Augen, damit sich unsere Blicke nicht trafen, und tat so, als würde ich mich auf die Musik konzentrieren. Nun spürte ich, dass sie mich beobachtete, und wagte es nicht mehr, die Augen zu öffnen, bis der letzte Titel auf der A-Seite mit einem harten Klicken endete. Alfonsa stand auf, legte die B-Seite ein, spielte sie an und fragte, noch
bevor Frank Sinatra einsetzte, ob sie sich auf dem Bett neben mich legen könne, einfach nur neben mich legen. Ich lächelte für uns beide und sagte, das gehe nicht, und sie nickte sofort, als hätte sie mit dieser Antwort gerechnet, und wir hörten weiter.
Take (get a piece of) my (these) arms, I’ll never use them.
     
    Am nächsten Tag, als sie mein Bett machen wollte, fand Alfonsa meine Tür verriegelt. Sie klopfte und rief meinen Namen, aber ich starrte bloß auf den Schatten, der sich im Spalt zwischen Tür und Boden bewegte, und schwieg. Nach einer Weile gab sie auf und zog sich zurück, und ich suchte die Oberin auf und bat sie, mir eine andere Schwester zuzuteilen. Alfonsa könne nichts dafür, erklärte ich, sie erinnere mich an jemanden, an den ich nicht erinnert werden wolle. Dass ich dieser Jemand war, behielt ich für mich. Die Oberin zeigte sich verständig, und ich verließ sie mit der Zuversicht, richtig gehandelt zu haben.
    Noch am selben Abend verfolgte mich Alfonsa nach dem Abendessen bis auf mein Zimmer. »Wieso hast du das gemacht?«
    Ich gab mich verwundert. »Wieso habe ich was gemacht?«
    »Ab morgen arbeite ich in der Küche«, sagte sie.
    »Ja und?«
    »Hast du etwa gedacht, ich will was von dir? Wegen gestern?«
    »Interessanter Gedanke. Wie kommst du darauf?«
    »Du könntest mein Großvater sein!«
    »Eben.«
    Ich hatte sie noch nie so aufgebracht gesehen. Ihre Lippen waren ein feiner, gerader Strich, und in ihren Augen wirbelten
so viele unausgesprochene Emotionen, dass ich gerne länger in ihnen gelesen hätte.
    »Gibt es sonst noch etwas?«, fragte ich stattdessen.
    Wortlos verließ sie mein Zimmer und ich wendete mich wieder dem Fenster zu, durch das ein Windstoß
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