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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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eine großzügige Wohnung am Münchner Platz. In der Prager Straße besaßen wir ein Geschäftshaus. Die auf den Höhen über Dresden gelegene wunderschöne Jugendstilvilla meines Großvaters ging in der Inflation der 1930er-Jahre verloren. Mein Großvater war sehr geachtet als königlicher Geheimrat und Anwalt in Dresden und ist im Ersten Weltkrieg gleich zu Beginn gefallen.
    Als ich zehn Jahre alt wurde, musste ich zum sogenannten Jungvolk, obwohl meine Mutter mich gern ferngehalten hätte. Also musste ich exerzieren und an Geländespielen teilnehmen. Das alles waren Vorbereitungen zum Kriegsdienst. Kurz vor Kriegsende wurde ich als 12-Jähriger für den sogenannten Volkssturm - Hitlers letztes Aufgebot - gemustert. Nach dem Angriff auf Dresden wurde daraus nichts mehr. Sehr gut erinnere ich mich an die Tage nach dem 20. Juli 1944, dem gescheiterten Attentat auf Hitler. Es gab eine große Kundgebung auf den Elbwiesen gegenüber dem Schloss. Eine Treuekundgebung mit dem Jungvolk und Tausenden von Leuten, die man zusammengekarrt hatte, um der sogenannten Vorsehung zu danken, dass Hitler überlebt hatte. Alle machten mit und ich verstand noch wenig von dem, was sich da wirklich abspielte. Die Massenaufmärsche aber waren mir zuwider wie auch die ganze Selbstdarstellung des Nazi-Regimes.
    Wie erlebten Sie die Bombardierung Dresdens und den Verlust Ihrer Heimat?
    Das Kriegsgeschehen war an Dresden ja eigentlich vorbeigegangen. Wir hielten den Krieg für so gut wie beendet. Umso einschneidender war dann der 13. Februar 1945, als in einer einzigen Nacht die ganze Stadt vernichtet wurde. Dresden wurde nicht durch punktuelle Bombardierung - wie andere Städte - im Laufe von Jahren zerstört, sondern in einer einzigen Nacht, auch durch die Entfesselung eines unvorstellbaren Feuersturms. Die Strategie der feindlichen Angreifer war, eben durch diese Feuerwalze die Stadt unbewohnbar zu machen, was auch gelang. Die meisten Menschen erstickten, weil sie keinen Sauerstoff mehr bekamen. Wir retteten uns im letzten Moment in den Luftschutzkeller, während unser Haus über uns niederbrannte. Das war Krieg pur und danach war nichts mehr so wie vorher.
    Meine Mutter, ich und meine sechs Jahre jüngeren Zwillingsgeschwister verließen mit drei Koffern Dresden. Meine Mutter war Russin, in Moskau geboren und mit ihrer Familie während der Revolution nach Berlin geflohen. Sie wollte mit den nun anrückenden Russen nichts zu tun haben. Aber sie bewahrte bis zu ihrem Lebensende ihre Identität als Russin. Vergeblich versuchte sie allerdings, mich für die russische Sprache zu begeistern. Ich sah damals für mich darin keinen Nutzen - leider.
    Unser Fluchtziel waren Freunde in Bayern. Und so fuhren wir mit dem Zug unter Tieffliegerbeschuss zunächst nach München, wurden dort erneut von Bombenangriffen bedroht, und dann an den Tegernsee. Dort erlebten wir vorerst eine reine Idylle. Kein Krieg, »nur« zahlreiche Lazarette, später den Einmarsch der US-Truppen, die Besatzerzeit. Für die nächsten fünf Jahre wurde der Tegernsee meine Heimat. Ich entwickelte Sympathie für die bayerische Lebensart und fand unter den Mitschülern Freunde fürs Leben. Die Zeit der amerikanischen Besatzung habe ich in guter Erinnerung, auch wenn es eine Notzeit war: die Winter waren bitterkalt; wir hatten wenig zu essen und zu heizen, oft halfen nur Schulspeisung und Lebertran.
    Womit verbinden Sie Ihren Neuanfang mit Mutter und Geschwistern am Tegernsee?
    Wenige Wochen nach Kriegsende besuchte uns in unserer neuen Heimat ein Kamerad meines Vaters und brachte uns sein Soldbuch, seine Erkennungsmarke und ein paar persönliche Habseligkeiten. Meine Mutter rief uns Kinder zusammen und überbrachte die Nachricht, dass Vater tot sei. Ich war tief erschüttert. Doch zwei »Ersatzväter« halfen mir, zwei ganz unterschiedliche Typen. Einer der beiden war ein Freund meiner Mutter, ein weltläufiger, kunstbegeisterter Mann, der in Dresden den Malern der »Brücke« nahegestanden hatte. Fritz Naumann war Architekt und sehr an Musik interessiert. In Dresden hatte er regelmäßig Hauskonzerte veranstaltet. Der andere »Vaterersatz« war ein Privatgelehrter, ein hagerer, asketischer und ganz der Wissenschaft zugewandter Mann, der mich sehr geprägt hat und zu dem ich eine lebenslange Freundschaft hatte. Adolf Grote, geboren 1890, stand der Widerstandsbewegung nahe und war für kurze Zeit einer meiner Lehrer am neu gegründeten Gymnasium in Tegernsee. Ich erinnere mich, wie er
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