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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung
Autoren: Gerhart Baum
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gesellschaftliche Solidarität als zentrale Ziele verfolgen sollte. Wenn wir nur eine reine Nützlichkeitsstrategie verfolgen, während Menschlichkeit und »Brüderlichkeit« immer weniger zählen, verlieren wir unsere liberale Identität. Gerade diese Ideale der Aufklärung und der Französischen Revolution sollten auch heute noch tragende Elemente für unsere Gesellschaft sein. Das Wort »Brüderlichkeit« - »Fraternité« - ist auf der Fassade fast eines jeden französischen Rathauses zu lesen. Heute könnte man von »Geschwisterlichkeit« sprechen.
    Ich möchte an dieser Stelle den wichtigen US-amerikanischen Philosophen John Rawls erwähnen, mit seinem wegweisenden Werk »Theorie der Gerechtigkeit« von 1971, das große Aufmerksamkeit und Verbreitung gefunden hat. Er hat Wege aufgezeigt, wie man eine ökonomisch effiziente Gesellschaft gestaltet, die sich gleichzeitig sozialen Korrekturen unterwirft. Rawls war ein Sozialliberaler - ein Leitbild für die FDP von heute.
    Das heißt, es wurden viele wichtige liberale Politikfelder an den Rand gedrängt?
    Ja, ich nenne beispielhaft die Umwelt- und die Bürgerrechtspolitik. Die FDP war die erste Umweltpartei der Republik. 1971 hat sie mit dem Freiburger Programm als erste deutsche Partei überhaupt ein umfassendes Umweltprogramm vorgelegt. Genscher hat als Bundesinnenminister von 1969 an die gesetzlichen und institutionellen Grundlagen für den Umweltschutz gelegt, wie wir ihn heute kennen. Peter Menke-Glückert hat ihn auf diesem Weg maßgeblich inspiriert. Das ist völlig vergessen, weil die FDP dieses Erbe nicht gepflegt hat. Liberale waren als Bundesinnenminister insgesamt 16 Jahre lang auch die Umweltminister des Landes.
    Diese Kritik trifft Ihrer Meinung nach auch auf den Themenbereich Bürgerrechte. Was genau meinen Sie damit?
    Der Kompetenzverlust auf diesem Feld war besonders schlimm. Bis zur Bundestagswahl 2009 bestimmte dieses Politikfeld nicht mehr das Bild der FDP. Es kam immer nur am Rande vor. Erst mit dem wachsenden Einfluss von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger änderte sich das. Sie wird als Bundesjustizministerin in ihrer rechtsstaatlichen Glaubwürdigkeit so leicht von niemandem übertroffen. Heute wird sie von der Partei im Großen und Ganzen unterstützt, was früher nicht immer der Fall war. Inzwischen erproben sich auch die Grünen auf dem Feld der Bürgerrechtspolitik. Meines Erachtens nicht mit großem Erfolg. Nun haben die Piraten mit dem Thema »Freiheit im Netz« Anhänger gewonnen und auch der FDP Stimmen abgejagt. Allerdings sammeln sich die Wähler bei den Piraten vor allem aus Frust gegen verknöcherte Strukturen und Verhaltensweisen der etablierten Parteien. Auch dagegen hätte die FDP längst etwas tun müssen und zwar durch eine offene und unbefangene Streitkultur, wie sie uns beispielhaft von Ralf Dahrendorf vorgelebt wurde, als es um die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition ging.
    Die FDP ist dringend gefordert, Zeichen zu setzen gegen eine zunehmende Demokratie-Entleerung hier im Land und in Europa. Der Kontrollverlust der Parlamente in Deutschland wie auch europaweit ist unverkennbar. Das dürfen wir nicht ignorieren. Die repräsentative Demokratie ist in einer Vertrauenskrise. Liberale müssen den Mut zeigen, neue Formen der direkten Mitwirkung der Bürger in geeigneter Weise zu fördern. Liberale sind immer in der Pflicht, wenn es darum geht, Demokratie zeitgemäß und offen zu gestalten. Dazu gehört auch die Gleichstellung der Frauen in der Wirklichkeit von Staat und Gesellschaft. Mit guten Absichten und leeren Versprechungen hat sich in den letzten Jahren nicht viel verändert. Die FDP ist gefordert, gegen die Unterrepräsentation der Frauen auch in der eigenen Partei anzugehen. Sie muss sich der Quote öffnen, in welcher Form auch immer. Warum erweckt die FDP den Eindruck, dass dies kein Thema für sie sei?
    Mit der von Ihnen kritisierten Verengung hat die FPD unter Guido Westerwelle 2009 fast 15 Prozent geholt. Ein Ergebnis bei einer Bundestagswahl, das damals einen Freudentaumel bei den Liberalen auslöste.
    Was aber auch damit zusammenhing, dass bestimmte Wählergruppen damals vor allem den Wechsel wollten - weg von der großen Koalition. Sie haben also taktisch gewählt.
    Wie lässt sich erklären, dass so wenig daraus gemacht wurde und die Partei seither im Abwärtsstrudel ohne Ende ist?
    Noch nie ist ein Wahlerfolg so schnell verspielt worden. Der Übergang von einer - an Wahlerfolgen gemessen - durchaus
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