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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom
Autoren: Lone Frank
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hast alles Gute von deiner Mutter und mir bekommen und alles Schlechte nicht.« An der Stelle machte er eine kleine Pause. »Nun ja, von den Depressionen abgesehen. Aber ansonsten – nur Pokale im Regal.«
    Was soll man als Kind dazu sagen? Man verdreht die Augen und zuckt mit den Achseln. Elterlicher Stolz ist sicher gut für das zerbrechliche Ego und die wackelige Selbstachtung, aber man weiß natürlich, dass er nicht richtig zählt.
    »Hör auf, Papa, du redest Unsinn.«
    Als ich klein war, sah ich mich eindeutig nicht als frischen grünen Trieb ganz oben auf dem majestätischen Baum meiner Abstammung mit breiten Ästen und weit verzweigten Wurzeln. Ich war eine eigene Person mit einem eigenen Willen und hatte mit früheren Generationen und ihren Eigenheiten nicht viel zu tun. Wie sollte etwas so Abstraktes wie »biologisches Erbe« mir etwas bedeuten, einem Individuum, das nicht nur perfekt in der Lage war, für sich selbst zu entscheiden, sondern auch keinen anderen Gedanken hatte, als immer weiter Fortschritte zu machen? Es bedeutete nichts.
    Seit dem Tod meines Vaters ist das anders. Heute bedeutet es auf einmal etwas. Heute will ich mein Erbe bis zu den Wurzeln zurückverfolgen. Ich möchte wissen, welche Varianten und Mutationen ich mitbekommen habe und was daraus für mich folgt. Ich möchte verstehen, wie die Zufälle der Biologie mein Leben geprägt haben, welche Chancen und welche Beschränkungen ich ihnen verdanke.
    Natürlich sehe ich, wenn ich vor dem Spiegel stehe, mein Erbe direkt – und nicht immer sehr vorteilhaft – in meine Erscheinung eingeschrieben. Die große Nase stammt sicher vom mütterlichen Zweig meiner Familie, dort kann man sie bis zu den sepiabraunen Fotografien meines Urgroßvaters zurückverfolgen. Mein schmaler, knochiger Körperbau wiederum geht auf seine Frau zurück – die verrückte Mutter meines Großvaters, vor der alle Angst hatten. Sie war ein geiziger Hausdrachen und kommandierte alle herum, ich habe noch vage Erinnerungen an sie aus Besuchen in einer Wohnung, in der es stark nach Mottenkugelnroch, vollgestopft mit Mahagonimöbeln und Häkeldeckchen. Mein etwas zu langes, leicht plumpes Gesicht und meinen Mund mit den schmalen Lippen habe ich sicher von der Großmutter meines Vaters und dieser Seite der Familie geerbt.
    Aber das familiäre Erbe hat sich nicht nur in Äußerlichkeiten niedergeschlagen. Vom Zweig meiner Großmutter väterlicherseits stammt ganz sicher auch mein chronischer Hang zum Sarkasmus. Manchmal höre ich in den bissigen Bemerkungen, die aus meinem Mund kommen, ganz deutlich die Stimme meines Vaters und spüre beinahe seinen Gesichtsausdruck in meinen Zügen. Ist so etwas nur das Ergebnis rigorosen sozialen Trainings von Kindheit an, oder hat auch die Biologie ihre Hand im Spiel? Trägt man solch ein Erbe in den Chromosomen? Wie wirken Veranlagung und Erziehung – »nature« und »nurture« – zusammen und bringen all das hervor, was Menschen interessant macht?
    »Ich sage das nicht gern, Lone«, eröffnete mir eine wohlmeinende Kommilitonin vor vielen Jahren, »aber deine Persönlichkeit ist gegen dich.« Ungefähr zur selben Zeit bezeichnete mich eine amerikanische Freundin als »brutal ehrlich«. Bei ihren Worten fühlte ich mich geschmeichelt, bis sie die Hände in die Hüften stemmte und rief: »Es ist schrecklich! Begreifst du nicht, dass die Menschen Ehrlichkeit hassen?«
    Aber wie viel von den unangenehmen Seiten meiner Persönlichkeit kann ich kleinen Veränderungen in meiner DNA anlasten? Ist es auf die Kombination von ein paar ungünstigen Genen aus zwei verschiedenen Familien zurückzuführen, dass ich immer wieder an Depressionen leide und generell einen düsteren Blick auf das Leben habe? Oder hängt beides damit zusammen, dass ich unter Umständen aufgewachsen bin, die gelegentlich herausfordernd waren – um es vorsichtig auszudrücken?
    Außerdem ist da noch die Frage nach physischen Krankheiten. Nicht, dass ich akut betroffen wäre, abgesehen von leichtem Rheuma im Grundgelenk meines rechten großen Zehs, was den Schuhkauf schwierig und Highheels unmöglich macht. Aber was lauert da womöglich in der Zukunft? Werde ich sterben wie meine Eltern? Werde ich früh anBrustkrebs erkranken oder später einmal Medikamente für Herz und Blutdruck schlucken müssen? Wenn ich einen Blick auf mein Genom werfe, erfahre ich dann, was die Zukunft für mich bereithält? Und wenn ich die Prognose früh genug kenne, kann ich dann meine Zukunft
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