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Mein Vater der Kater

Mein Vater der Kater

Titel: Mein Vater der Kater
Autoren: Henry Slesar
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nicht uneingeschränkt glücklich waren, denn schließlich war ich ja der Annehmlichkeiten unseres Besitzes und der Klugheit meines Vaters, des Katers, verlustig gegangen. Aber dann lebte ich mich doch ein und bekam sogar nach Abschluß des Studiums die Stelle in einem Städtischen Kunstmuseum, um die ich mich beworben hatte. Dort lernte ich Joanna kennen, die junge Frau, die ich zu heiraten gedachte. Joanna war die Tochter eines Viehzüchters und geprägt vom großen Südwesten Amerikas. Ihr Gesicht und ihr Körper waren von jener blühenden Vitalität, von jener tatkräftigen Robustheit, wie sie die Weite des Himmels und der Wüste hervorbringt. Ihr Haar war nicht das Gold des Altertums, sondern neues, eben erst den schwarzen Felsen abgerungenes. Ihre Augen waren nicht wie die Diamanten der alten Welt, sondern ihr Funkeln war das des Sonnenlichts auf einem über Steine talwärts plätschernden Flüßchen. Ihre Gestalt stach ins Auge, war ein offenes Bekenntnis zu ihrem Geschlecht.
    Vielleicht war sie für den Sohn einer feenhaften Mutter und eines Angorakaters eine recht ungewöhnliche Wahl, aber schon als wir uns zum ersten Mal in die Augen sahen, wußte ich, daß ich Joanna eines Tages mit nach Hause nehmen und dem Vater als meine Verlobte vorstellen würde.
    Verständlicherweise sah ich diesem Ereignis mit einiger Beklommenheit entgegen. Mein Vater hatte mir vor meiner Abreise nach Amerika manch guten Rat erteilt, hatte dabei aber auch auf nichts größeren Wert gelegt als darauf, daß alles, was ihn betraf, geheim zu bleiben hätte. Er versicherte mir, daß mir die Preisgabe meiner Herkunft väterlicherseits nichts als Spott und Unglück eintragen werde. Dieser Rat war natürlich vernünftig, und so wußte Joanna nicht, daß das Ziel unserer Reise der Besitz eines großen, kultivierten und sprechenden Katers sein würde. Ich hatte absichtlich den Eindruck erweckt, verwaist zu sein, denn ich war der Ansicht, daß allein der Wohnsitz meines Vaters in Frankreich als Ort in Frage kam, um Joanna die Wahrheit zu offenbaren. Ich bezweifelte nicht, daß sie ihren Schwiegervater problemlos annehmen würde. Waren nicht auch annähernd zwanzig menschliche Bedienstete ihrem katzenhaften Herrn fast eine Generation lang treu ergeben geblieben?
    Wir waren übereingekommen, am i. Juni zu heiraten, und gingen deshalb am 4. Mai in New York an Bord des Flugzeuges nach Paris. In Orly holte uns Francois, der ernste Diener meines Vaters, ab. Er war nicht einfach nur zu unserer Begleitung abgestellt worden, sondern auch als Aufsichtsperson, denn für meinen Vater hatten viele der Anstandsregeln der alten Welt ihre Gültigkeit noch nicht verloren. Bis zu unserem Besitz in der Bretagne war es eine lange Autofahrt, und ich muß gestehen, daß ich während der ganzen Zeit in brütendem Schweigen verharrte, was Joanna offenkundig verwirrte.
    Als dann jedoch das große Schloß, das unser Zuhause war, vor uns auftauchte, wurden meine Befürchtungen und Zweifel schnell zerstreut. Joanna war – wie so viele Amerikaner – von der Aura der Altehrwürdigkeit und Herr- schaftlichkeit tief beeindruckt. Francois gab sie in die Obhut von Madame Jolinet, die beim Anblick dieser frischen, blonden Schönheit die dicken Hände zusammenschlug und dann, als sie sie zu ihrem Zimmer im Obergeschoß geleitete, plapperte und gackerte wie eine Henne. Was mich anging, so hatte ich nur einen Wunsch, nämlich meinen Vater, den Kater, zu begrüßen.
    Er empfing mich in der Bibliothek, wo er – in seinem Lieblingssessel am Kamin zusammengerollt, einen großen Cognacschwenker neben sich – ungeduldig unsere Ankunft erwartet hatte. Als ich eintrat, hob er förmlich eine Pfote, aber dann ließ die Freude des Wiedersehens seine Zurückhaltung dahinschmelzen, und er scheute sich nicht, mir selig das Gesicht abzulecken.
    Francois schenkte ihm nach und auch mir ein Glas ein, und wir hoben die Gläser und tranken uns zu.
    »Auf dein Wohl, mein Schnurrer«, sagte ich, den Kosenamen aus Kindertagen benutzend.
    »Auf Joanna«, sagte mein Vater. Er leckte sich die Lippen und strich sich ernst über seine Schnurrhaare. »Und wo steckt dieses Juwel?«
    »Bei Madame Jolinet. Sie wird gleich herunterkommen.«
    »Und du hast ihr alles erzählt?«
    »Nein, mein Schnurrer, das habe ich nicht. Ich hielt es für das Beste, damit zu warten, bis wir zu Hause wären. Sie ist eine wunderbare Frau«, setzte ich leidenschaftlich hinzu. »Sie wird nicht –«
    »Entsetzt sein?«
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