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Mein Vater der Kater

Mein Vater der Kater

Titel: Mein Vater der Kater
Autoren: Henry Slesar
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beschäftigt mit den Vorbereitungen des Essens, um sich mit mir unterhalten zu können, aber ich ließ nicht locker.
    »Ich muß unbedingt mit dir sprechen«, sagte ich. »Wir müssen gemeinsam entscheiden, wie wir vorgehen wollen.«
    »Es wird nicht leicht werden«, antwortete er mit einem Zwinkern. »Sieh es doch mal mit Joannas Augen. Eine Katze, die so groß und alt ist wie ich, bietet schon Anlaß genug zu Bemerkungen. Aber eine Katze, die auch noch spricht, die ist beunruhigend. Eine Katze, die mit den Bewohnern des Hauses an einem Tisch ißt, die ist schockierend. Und eine Katze, die du dir als –«
    »Hör auf!« rief ich aus. »Joanna muß die Wahrheit erfahren, und du mußt mir dabei helfen, sie ihr beizubringen.«
    »Du willst also meinem Rat nicht folgen?«
    »Immer, nur in dieser Sache nicht. Unsere Ehe kann nicht glücklich werden, wenn Joanna dich nicht so akzeptieren kann, wie du bist.«
    »Und wenn es keine Hochzeit gibt?«
    Eine solche Möglichkeit wollte ich einfach nicht in Betracht ziehen. Joanna war mein – daran konnte nichts etwas ändern. Mein Vater mußte den Schmerz und die Verwirrung in meinem Blick bemerkt haben, denn er berührte meinen Arm sanft mit einer Pfote und sagte: »Ich werde dir helfen, Etienne. Du mußt mir vertrauen.«
    »Immer!«
    »Dann komm mit Joanna zum Essen und sag ihr nichts. Wartet auf mein Erscheinen.«
    Ich ergriff seine Pfote und führte sie an meine Lippen.
    »Ich danke dir, Vater.«
    Er wandte sich an Francois und sagte barsch: »Du hast meine Anweisungen gehört?«
    »Ja, Herr«, antwortete der Diener.
    »Dann ist alles bereit. Ich gehe jetzt auf mein Zimmer, Etienne, und du kannst deine Verlobte zum Essen holen.«
    Ich eilte nach oben und traf Joanna fertig umgezogen an – unendlich schön in schimmerndem weißen Satin. Wir schritten zusammen die breite Treppe hinunter und betraten das Eßzimmer.
    Joannas Augen leuchteten, als sie das großartige Service sah, das aufgedeckt worden war, und die wie Soldaten aufgereihten edlen Weine, die zum Teil schon eingeschenkt worden waren — Haut Medoc aus St. Estephe, Chablis, Champagner aus Epernay und auch ein amerikanischer Wein aus dem Napa Valley, den mein Vater sehr schätzte. Während wir unseren Aperitif nahmen, wartete ich gespannt auf das Erscheinen meines Vaters. Joanna plauderte über harmlose Dinge und hatte keine Ahnung, welche Qualen ich durchlitt.
    Um acht war mein Vater immer noch nicht da, und ich wurde noch unruhiger, als Francois das Zeichen gab, daß die Bouillon au Madere aufgetragen wurde. Hatte er es sich anders überlegt? Würde es mir überlassen sein, Joanna alles ohne seine Mithilfe zu erklären? Bis zu diesem Augenblick war mir nicht klargewesen, was für eine schwere Aufgabe ich mir selbst zugewiesen hatte, und mich überkam die fürchterliche Angst, Joanna doch zu verlieren. Die Suppe wollte mir wäßrig und nach nichts schmeckend erscheinen, und das Elend, das sich in meinem Verhalten ausdrückte, war viel zu offensichtlich, als daß es Joanna hätte entgehen können.
    »Was ist denn, Etienne?« fragte sie. »Du bist schon den ganzen Tag so zerstreut. Kannst du mir nicht sagen, was los ist?«
    »Nein, nein, es ist nichts. Es ist nur –« Ich brach ab, vermochte den Impuls aber nicht zu unterdrücken. »Joanna, es gibt da etwas, was ich dir sagen muß. Etwas, was meine Mutter und meinen Vater betrifft –«
    Francois räusperte sich laut. Er wandte sich zur Tür um, und unsere Blicke folgten dem seinen.
    »O Etienne!« rief Joanna mit einer Stimme aus, in der Freude mitschwang.
    Hereingekommen war mein Vater, der Kater, und betrachtete uns mit seinen grauen, gelbgesprenkelten Augen. Dann näherte er sich dem Eßtisch, wobei er Joanna ängstlich und vorsichtig ansah.
    »Das ist ja die Katze von dem Bild!« sagte Joanna. »Du hast mir gar nicht gesagt, daß sie hier ist, daß sie lebt, Etienne. Was für ein hübsches Tier!«
    »Joanna, das ist –«
    »Der Kater Dauphin! Ich hätte ihn überall und immer wiedererkannt. Komm zu mir, Dauphin. Miez, miez, miez, na, komm doch mal her.«
    Mein Vater näherte sich langsam ihrer ausgestreckten Hand und gestattete ihr, ihm das dichte Fell in seinem Nacken zu kraulen.
    »Was für ein süßes kleines Pussiekätzchen! Was für ein liebes kleines Ding!«
    »Joanna!«
    Sie hob meinen Vater vom Boden auf, setzte ihn auf ihren Schoß und gab flötend all die albernen Wörter von sich, mit denen Frauen ihre kleinen Lieblinge zu bedenken pflegen. Der
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