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Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Titel: Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Autoren: Jan Weiler
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Salzkristalle – und eine ganze Kolumne. Na so was!

Ein Geschenk für Jürgen
    Jürgen hatte Geburtstag. Das ist mein Schwager, der Mann von Saras großer Schwester, und es ist unmöglich, für Jürgen ein Geschenk zu finden. Er ist Diplom-Ingenieur, Weinkenner und Esoteriker. Ich war bei der Hausgeburt seiner Tochter dabei und habe alles gefilmt damals, auch seinen schamanischen Dankbarkeitstanz um einen Stachelbeerstrauch am Tag danach. Egal. Er ist jedenfalls schwer zu beschenken, weil er bei der Anschaffung von Produkten auf Details achtet, die mir gewöhnlich entgehen: Alles muss fair gehandelt, biologisch abbaubar und von Hand gearbeitet sein, möglichst ohne Fleisch, ohne Eier und Plastik.
    Als ich ihm und Lorella nach der Geburt von Irmine-Appolonia einmal ein – wie ich fand – sehr ulkiges Spongebob-Mobile für das Kinderbett überreichte, kommentierte er dies angeekelt mit den Worten: «Das ist ja wie Psychopharmaka. Nein, das kommt uns nicht ins Haus.» Außerdem habe sein Kind bereits ein Mobile über dem Bett hängen, das habe er sogar selbst gebastelt, und es würde seine väterliche Energie und Liebe quasi im Schlaf auf das Baby übertragen. Er schritt voran und zeigte mir sein Werk, und ich fand, dass es zumindest gut roch. Er hatte es nämlich aus sieben gebrauchten Teebeuteln gefertigt, und die schaukelten nun sanft über dem Kopf des Säuglings. Dieser Ausdruck seiner Vaterliebe, aus dem zusätzlich der Recycling-Gedanke sowie ein nicht unbeträchtliches Ausmaß an Geiz sprachen, bildete den Auftakt zu einer ganzen Reihe von skurrilen Selfmade-Spielzeugen, die bei ihm und Lorella den Plastikdreck aus den Spielwarengeschäften ersetzten.
    Auch wenn sich Jürgen und Lorella gegenseitig beschenken, greifen sie entweder auf Praktisches oder Scheußliches zurück; meistens kommen sie zu Lösungen, die beide Eigenschaften vereinen. In ihrem Haus sieht es aus wie auf einer schwäbischen Esoterikmesse, die Böden sind gesäumt von Gebetsteppichen, an den Wänden hängen indische Sinnsprüche, und wenn man ein bisschen Zeit mitbringt, erzählt Jürgen einem gerne vom hermetischen Weg, den er gerade beschreite, um die Kundalini-Kraft in sich zu entfesseln. Was schenkt man einem wie ihm bloß? Und vor allem: warum überhaupt? Zumindest die Antwort darauf ist einfach: Obwohl Jürgen der Ansicht ist, dass irdische Güter grotesk überbewertet werden, reagiert er auf kindliche Weise beleidigt, wenn man ihm nichts zum Geburtstag schenkt. Schließlich sei dies eine Gunstbezeugung, auf die auch er angewiesen sei, denn er sei auch ein Mensch und sehne sich nach Anerkennung. Aha. Na gut.
    Allerdings bin ich auf dem Gebiet der Esoterik völlig unbewandert. Ich kann eine Klangschale nicht von einer Obstschale unterscheiden, und das meiste finde ich sehr komisch, zum Beispiel dieses Drahtgestell, mit dem man sich die Kopfhaut massieren soll. Man sieht damit aus, als habe man ein paar Drähte am Kopf zur Hirntätigkeitsmessung dringend nötig, aber es fühlt sich gut an. Sogar ich besitze so ein Ding. Und Jürgen auch. Also musste etwas anderes her.
    Sara schleppte mich in ein Geschäft, das von einem Vader-Abraham-artigen Herrn bewohnt wurde. Wir trugen ihm unseren Wunsch nach dem Dernier Cri der Esoterik-Szene vor, und er verschwand in ein Hinterzimmer, wo er eine Weile laut scheppernd zugange war, bis er schließlich mit einem Karton zurückkehrte, welchem er ein Stück gedrechseltes Kirschholz entnahm. Ganz glatt war es und es sah aus wie eine weibliche Brust. «Das ist ein Handschmeichler», sagte Vader Abraham. Er nenne das Ding «Evas Busen», und man könne nicht anders, man müsse es streicheln. Das sei ein männliches Urbedürfnis, und ich solle es mal ausprobieren. Ich probierte. Es fühlte sich gut an, aber ich vermisste eine Reaktion seitens des Busens.
    Wir haben es dann gekauft – war teuer – und Jürgen letzte Woche überreicht. Er war begeistert und streichelte es den ganzen Abend unter den missbilligenden Blicken seiner Gattin. Und die Begeisterung hält an. Ich hörte heute, dass er es mit zur Arbeit nimmt, wo er es streichelt, sobald er unter Stress gerät. Die Vorstellung, dass Jürgen seine Holztitte sogar in Konferenzen schmuggelt, um sie unter dem Tisch zu befummeln, macht mir allerdings schon ein bisschen Angst.

Saisoneröffnung
    Die ersten warmen Sonnenstrahlen fielen in den Garten. Ich stand mit einem Espresso am Fenster und sah hinaus. Ich kann den Winter nicht leiden und genieße es,
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