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Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Mein Name ist Toastbrot (German Edition)

Titel: Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
Autoren: Dino Capovilla
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Malheur nicht mehr ansehen.
    Nun galt es das nächste Problem zu lösen, welches sich zweifellos zu Hause ergeben würde, sobald ich die Verletzung dort vorzeigen würde. Dieser Verstoß gegen die Unauffälligkeit wäre von meiner Mutter durch emotionale Missachtung und von meinem Vater mit ein paar Ohrfeigen bestraft worden. Mich erwartete im besseren Fall die Isolation durch eine wochenlange Mauer des Schweigens. Im schlechteren Fall hätte meine Mutter mit einer Packung Schlaftabletten gespielt und mich für ihren bevorstehenden Suizid verantwortlich gemacht. Schlimmer als die typische Entbehrung der Zuneigung in meinem Elternhaus, war der Verlust der Hoffnung auf dieselbe.
    Ich entschloss mich, den Vorfall zu verschweigen und hoffte, dass die Wunde von selbst heilen würde. Dem war aber nicht so. Nach zwei Tagen waren die Schmerzen nicht mehr zu ertragen, da bereits der Gewebetod begonnen hatte. Der Knöchel glänzte inzwischen eitrig in einer breiten Farbpalette. Als ich es nicht mehr aushielt und meiner Mutter das verletzte Bein zeigte, fuhren wir nach ein paar Ohrfeigen ins Krankenhaus. Dort schnitt man das tote Stück ab, warf es weg und fortan war da kein Fuß mehr, sondern nur noch ein Stumpf.
    Das ist eine der zahlreichen Geschichten, die ich manchmal erzähle. Die Wahrheit ist: Ich habe den wirklichen Grund für die Amputation verdrängt. In meiner Erinnerung gab es da noch nie einen Fuß. Schenkt man der Erzählung meiner Eltern Glauben, wurde ich mit einem verkümmerten Fuß geboren, wofür keine konkrete Ursache festgestellt werden konnte. Dieser wurde, um eine Prothese anbringen zu können, abgeschnitten. Das gute Stück hat man leider nicht konserviert, obwohl mich heute der Gedanke fasziniert, das eigene Füßchen in einem Gewürzgurkenglas ins Regal stellen zu können.
    Meistens gibt es einen Punkt, an dem das gespielte Interesse der Mitmenschen in ehrliches Interesse umschlägt. Einige Menschen versuchen sich mithilfe ihrer Empathie in Behinderte hineinzufühlen, was aber nicht gelingen kann.
    Unsere Phantasie hat natürliche Grenzen. Es ist schwierig,sich ein Leben als Fisch vorzustellen, wenn man gar kein Fisch ist. Genauso wenig reicht unsere Vorstellungskraft aus, um uns in die Situation eines Behinderten hineinzufühlen, ohne dass wir ähnliche Beeinträchtigungen haben.
    Einen Beitrag zum besseren Verständnis liefern hier auch die Behinderungssimulationen nicht, auch wenn diese durch den Ausflug in eine andere Welt hohen Erlebniswert haben.
    Ich kenne Menschen, die eine Stunde im Alterssimulationsanzug verbringen und glauben, damit in die Zukunft sehen zu können. Andere glauben nach einem Essen im Dunkeln verstanden zu haben, wie grausam es ist, blind zu sein.
    Eine Behinderung ist endgültig. Was für Alltagsabenteurer Fiktion ist, erleben Behinderte als Realität. Das Leben ist nicht annähernd so spannend, wie ein Rollstuhlparcours und nicht annähernd so erlebnisreich, wie das Dunkelerlebnis.
    Wenn es klingelt, und ich am Morgen nicht schnell genug aus dem Bett komme, um dem Postboten die Tür zu öffnen, weil meine Prothese hakt, ist das ärgerlich. Nicht weil mir die Möglichkeit geraubt wird, den gutaussehenden Postboten zu verführen, sondern, weil ich durch die halbe Stadt laufen muss, um das Päckchen beim Briefzentrum abzuholen. Genauso ärgerlich ist es, wenn man als Blinder auf allen Vieren durch die Küche krabbeln muss, weil man die Tomate nicht mehr findet, die einem gerade beim Kochen runtergefallen ist.
    Jeder Mensch hat Probleme sich im Leben einzurichten. Bei den einen sind sie größer und bei den anderen kleiner und dann gibt es jene, die keine haben und sich welche machen.
    Bei der Einrichtung des eigenen Lebens auf neue Lebenssituation hat man nur zwei Möglichkeiten. Um auf das Bild mit dem Fisch zurückzukommen. Wenn man ins Wasser geworfen wird, lernt man entweder zu schwimmen, oder ersäuft. Durch das Schwimmen wird das Problem gelöst und durch das Ersaufen aufgehoben. Ahoi Seemann, ich schwimme!
    Ein Leben mit nur einem Fuß ist ein normales Leben. Eine Behinderung ist einfach da. Man lernt damit umzugehen und richtet sein Leben entsprechend ein. Es ist eine dauerhafte und berechenbare Einschränkung.
    Einschränkungen, die andauernd neue Rahmenbedingungen schaffen, an die man sich anpassen muss, sind da komplizierter. Neben dem wiederholten Bewältigungsprozess wird man ständig zur Neuorganisation des täglichen Lebens gezwungen. Behindert hat mich nicht
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