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Mein mutiges Herz

Mein mutiges Herz

Titel: Mein mutiges Herz
Autoren: KAT MARTIN
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nackten Wänden wider, und ein Frösteln durchrieselte sie. Lindsey blinzelte ihre Tränen des Mitgefühls für Rudy zurück, als der Wärter die Zelle aufsperrte. Die schwere Eichentür quietschte in den Angeln, und Rudy sprang von dem klumpigen Strohsack seiner schmalen Pritsche auf.
    „Mein Gott, bin ich froh, dich zu sehen.“
    Sie umarmte ihn, und ihr Bruder hielt sie ganz entgegen seiner sonstigen Art lange fest, als sei sie seine letzte Hoffnung.
    Lindsey bemühte sich um ein Lächeln. „Ich dachte, Mr. Marvin bei dir anzutreffen.“
    „Er war vor einer Stunde hier … zusammen mit dem Detektiv.“
    „Mansfield? Hat er etwas Brauchbares gefunden?“
    „Ich erzählte ihm vor ein paar Tagen von Merrick und dem vermissten Mädchen, und er reiste umgehend nach Foxgrove. Offenbar hat er in dem Dorf mit einem Mann gesprochen, der behauptet, Penelope Barker noch in der Nacht ihres Verschwindens gesehen zu haben. Er will auch gesehen haben, dass Merrick mit dem Mädchen eine hitzige Auseinandersetzung in der Nähe der Stallungen hatte. Merrick soll sehr wütend gewesen zu sein. Seitdem ist das Mädchen verschwunden.“
    „Das beweist, dass er in der Nacht ihres Verschwindens mit ihr zusammen war.“
    „Aber es beweist nicht, dass er sie getötet hat.“
    Lindsey warf ihren Umhang über die Lehne eines wackeligen Stuhls, setzte sich, bat Rudy, sich gleichfalls zu setzen, und nahm seine Hand. „Du schreibst, dass du dich an etwas erinnerst. Erzähl mir davon.“
    Hörbar stieß Rudy den Atem aus. „Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat. Mir erschien es damals unwichtig, deshalb habe ich es wohl vergessen. Es fiel mir erst wieder ein, nachdem du erwähnt hast, dass Merrick die Mädchen im Red Door ans Bett gefesselt hat …“ Er rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.
    „Weiter.“
    „Also, in meinem ersten Semester in Oxford gab es einen Vorfall. Ich schlich mich mit ein paar Kommilitonen heimlich aus dem Haus in eine Schenke, von der wir gehört hatten, dass es dort Mädchen gab … na ja, du weißt schon, die sich von Männern bezahlen lassen …“
    „Prostituierte.“
    Er errötete.
    „Hat Stephen euch begleitet?“
    Rudy schüttelte den Kopf. „Nein. Damals gab er sich nicht mit uns Grünschnäbeln ab.“
    „Und was geschah in dieser Nacht?“
    Rudy hielt den Blick auf die schmutzigen Dielenbretter gerichtet. „Ich weiß nicht recht, ob ich mit dir darüber sprechen soll … du bist schließlich meine Schwester.“
    „Ich muss es wissen, Rudy. Ihr seid also in diese Schenke gegangen.“
    „Ja. The Goose. Dort arbeitete ein Mädchen. Molly hieß sie, wenn ich mich recht entsinne. Sie war vollbusig und hübsch, und meine Freunde sagten, sie könne einem Mann Vergnügen bereiten wie keine andere. Sie triezten mich so lange, bis ich mich einverstanden erklärte, es mit ihr zu versuchen. Dann schlossen sie Wetten darauf ab, dass ich im letzten Moment einen Rückzieher mache. Um mich nicht zu blamieren, ging ich in den ersten Stock und machte mich auf die Suche nach Molly …“
    „Und weiter, was ist dann geschehen?“
    „Am Ende des Flurs fand ich eine unverschlossene Tür und öffnete sie. Auf dem Bett lag Stephen, splitternackt, mit Händen und Füßen an die Bettpfosten gebunden. Ich war so verdattert, dass ich wie angewurzelt stehen blieb und ihn anglotzte. Molly zeigte lachend mit dem Finger auf ihn und machte sich über ihn lustig, dass er nicht einmal … nun ja, du weißt schon …“ Rudy wandte sich ab, bis über beide Ohren rot geworden.
    „Sprich weiter. Erzähl mir den Rest.“
    Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. „Dann fing auch ich zu lachen an, irgendwie aus Verlegenheit. Ich meine, er sah einfach komisch aus, wie er so dalag, nackt und gefesselt. Aber eigentlich fand ich nichts dabei, wenn man jung ist, probiert man eben so allerlei aus. Der Punkt ist, dass ich es nur komisch fand und mir nichts weiter dabei dachte. Aber Stephen fand es offenbar gar nicht komisch.“
    „Hast du deinen Freunden erzählt, was du gesehen hast?“
    „Keine Ahnung … schon möglich. Ich weiß es nicht mehr, ich war auch etwas angesäuselt.“
    Lindsey stützte die Hände auf die Tischplatte, die Gedanken rasten ihr wirr durch den Kopf. War es möglich, dass ein Mann wegen einer peinlichen Situation in seiner Jugend sich noch Jahre danach zutiefst in seinem Stolz verletzt fühlte? Zugegeben, die Situation war ziemlich demütigend für Stephen. Vielleicht bestand auch eine
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