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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Autoren: Damien Echols
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man verhungern, und das nicht, weil es nichts zu essen gibt. Ich rede von Welken und Sterben des menschlichen Geistes durch den Mangel an Anstand und Liebe zu den Mitmenschen. Die Sprechenden Köpfe im Fernsehen malen die Gefangenen als Tiere, und sie haben recht. Sie haben recht, weil der Geist, der die Gefangenen einst zu Menschen gemacht hat, verhungert ist. Geblieben ist ein schwarzes Loch in menschlicher Gestalt.
    Das Gefängnis ist dazu gedacht, dich zu vereinzeln, zu isolieren und allem und jedem zu entfremden. Du darfst deinen Ehepartner, deine Eltern, deine Kinder nicht einmal berühren. Das System, das sie entworfen haben, tut alles, was in seiner Macht steht, um jede körperliche oder emotionale Verbindung, die man zu irgendjemandem in der Außenwelt hat, zu durchschneiden. Sie wollen, dass deine Kinder aufwachsen, ohne dich zu kennen. Sie wollen, dass dein Ehepartner dein Gesicht vergisst und ein neues Leben anfängt. Sie wollen, dass du allein in einer Betonschachtel sitzt und trauerst und nicht einmal beim Begräbnis deines Vaters oder deiner Mutter ein letztes Abschiedswort sprechen kannst. Es läuft nicht einfach so – es soll so laufen.
    Ich glaube, es gibt nur zwei unaufhaltsame Kräfte im Universum. Die eine ist die Liebe, die andere die Intelligenz. Ich glaube auch, dass die Fähigkeit eines Menschen zur Liebe in einem unmittelbaren Verhältnis zu seinem Intelligenzniveau steht, wie auch Hass in einer direkten Beziehung zu jemandes Ignoranz steht. Du kannst nur dann verhindern, dass das System dich vernichtet und deinen Geist zu nichts zermahlt, wenn deine Intelligenz größer ist als seine.
    In bestimmten Stammeskulturen werden Geistführer durch Tiere dargestellt. Diese Tiere führen den Menschen auf die nächste Entwicklungsebene in seinem Leben. Schlicht gesagt, sie helfen uns, als Person zu wachsen. Mein Führer zum Wachstum ist ein wunderschöner Affe.
    Meine Frau ist das erotischste und intelligenteste Geschöpf, das je existiert hat. Sie hat die Haltung und die Anmut einer Katze, aber in ihren Augen leuchtet der Mutwille eines Äffchens. Sie ist meine Kraft und mein Herz. Wenn sie mich nicht aufrechterhalten hätte, wäre ich schon vor langer Zeit gestorben. Außerhalb von ihr habe ich keinen Grund zum Atmen. Sie ist mein Leben.
    In gewisser Hinsicht bedeutet die Aufrechterhaltung einer Beziehung hinter diesen Mauern, als müsse man einen Hirnschaden überwinden. Wenn ein Bereich des Gehirns beschädigt ist, müssen die anderen Bereiche einen Weg zum Ausgleich finden, indem sie neue Neuralbahnen entwickeln und verbessern, die es unter normalen Umständen nie gegeben hätte. Im Gefängnis bleiben dir die normalen Möglichkeiten, Liebe zum Ausdruck zu bringen, zu geben und zu empfangen, verschlossen. Wenn man nichts Neues erfindet, wird die Beziehung sehr bald absterben. Man kann seiner Frau morgens keinen Abschiedskuss geben, bevor man zur Arbeit fährt. Man kann sie nicht im Arm halten, wenn sie weint, und man kann sich nicht von hinten heranschleichen und sie mit einer Umarmung überraschen. Man kann nicht mit ihr essen gehen oder über das Wochenende in ein Hotel fahren. So etwas ruft in einer Beziehung ungeheure Stressfrakturen hervor, die schließlich dazu führen, dass das Ganze zerbricht. Nach einem Streit kann man nicht mal Händchen halten und sanft auf den anderen einreden, um sich wieder zu vertragen. Man ist beschränkt auf die Gefühle, die man in einem zehnminütigen Gespräch am Telefon ausdrücken kann, wo andere Leute zuhören und jedes Wort mitschneiden. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in einem Gefängnis ist allein, zurückgelassen von anderen, die ihr Leben weitergeführt haben.
    Eine unserer – Lorris und meiner – größten Erfindungen ist das Mondwasser. Ein anderer Gefangener hat mich einmal gesehen, wie ich Mondwasser machte, und er sagte, es sei so unlogisch, dass es ihn fast wahnsinnig machte. Monatelang stampfte er frustriert herum und schrie: » Scheiße, das ist verrückt! Es ergibt keinen Sinn! Dieser Scheiß macht mir Kopfschmerzen! « Aus irgendeinem Grund schien der bloße Gedanke seinem Verstand wehzutun. Aber er war sowieso schon ein bisschen verrückt.
    Mondwasser kann man nur einmal im Monat machen, in der Vollmondnacht. Wenn die Sonne untergegangen ist und der Mond hoch am Himmel steht, füllt man einen Behälter mit Wasser und stellt ihn auf ein Fenstersims, sodass der Mond darin reflektiert wird. Man muss ihn die ganze Nacht dort stehen
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