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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Autoren: Damien Echols
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Anerkenntnis aufrechterhalten, und der Richter würde es formell akzeptieren. Ich saß die ganze Nacht auf der Bettkante und wartete darauf, dass es Morgen wurde.
    Das Hearing begann am 19. gegen elf. Ein Wärter kam und brachte mir meine Kleidung und einen Rasierer, und als ich mich angezogen hatte, setzte ich mich auf eine Bank und wartete auf Jason und Jessie. Ich sah zu, wie ein Wärter Jessie die Krawatte band. Wir wurden – zum letzten Mal – in Ketten gelegt, und bevor wir in den Van stiegen, erklärte uns ein Sicherheitsmann, wir müssten uns, ohne nachzudenken, auf den Boden werfen, sobald er es befahl. In einer Fahrzeugkolonne wurden wir zum Gerichtsgebäude gebracht. Dort führte man uns ins Beratungszimmer der Geschworenen, und wir mussten, immer noch gefesselt, ungefähr eine halbe Stunde dort sitzen bleiben. Schließlich kamen unsere Anwälte herein, und Lorri war auch dabei, aber alles war so verrückt, dass wir uns beide kaum an etwas erinnern können. Es gab einen separaten Raum für Familienangehörige, und Benca schickte mit seinem Handy Fotos von uns an alle möglichen Leute nebenan. Nach allem, was man mir erzählt hat, herrschte dort ein Gefühlschaos. Meine Mutter und meine Schwester waren auch da, aber meine Mutter saß die ganze Zeit im Gerichtssaal, gab Interviews und sprach mit Journalisten. Mein Vater kam nicht. Er schickte mir über die WM 3-Website eine E-Mail mit seiner Telefonnummer, falls ich mit ihm Verbindung aufnehmen wollte.
    Wir probten unsere Statements. Ursprünglich hatten unsere Anwälte die Plädoyers für uns halten sollen, aber in letzter Minute kriegte Ellington einen Anfall und verlangte, dass wir es selbst taten, mit lauter Stimme und vor den Familien der Opfer, die fast vollzählig versammelt waren. Im Laufe der Jahre hatte ich mit John Mark Byers und mit Pam Hobbs’ Tochter Amanda korrespondiert, aber ich war so müde, dass ich einzelne Anwesende kaum zur Kenntnis nahm. Die Menschenmenge und der Lärm, den die Reporter machten, waren überwältigend, als wir – endlich ohne Ketten – in den Gerichtssaal kamen. Es war sehr schnell vorüber. Alles ging so, wie wir es geprobt hatten. Ich weiß noch, dass ich Lorri und Eddie hinter mir sitzen sah, und dann wurde ich für frei erklärt.
    Richter Laser ließ uns drei aus dem Gerichtssaal eskortieren und sprach dann zu den verbliebenen Zuschauern. Dieser Deal, sagte er, sei in vieler Hinsicht eine Tragödie. Er bringe die Kinder nicht zurück, und er ersetze nicht eine Minute der Zeit, die wir im Gefängnis verbracht hätten. Er dankte denen, die von außen mitgewirkt hatten – Unterstützern, Prominenten und Freunden –, für ihr Engagement und ihre unerschütterliche Loyalität. Als ich mir die Aufnahme seiner Rede nachher anschaute, dachte ich zum ersten Mal, dass die Justiz noch etwas anderes sei als verkommen bis ins Mark.

NEUNUNDZWANZIG
    15. FEBRUAR 2012
    In drei Tagen ist es sechs Monate her, dass ich aus dem Gefängnis gekommen bin. Die Zeit ist im Handumdrehen vergangen. Das hat zum Teil mit dem Schock zu tun, den ich bei meiner Entlassung und in den Wochen danach durchlebt habe. Es hat lange gedauert, bis ich anfangen konnte, zu mir selbst zurückzukommen, und ich bin immer noch nicht fertig damit. Immer wenn ich erschöpft oder sehr angespannt bin, kriecht der Schock an der Peripherie meines Bewusstseins heran wie eine Nebelwand. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird, bis ich mich wieder an die Außenwelt akklimatisiert habe. Vielleicht gelingt es nie mehr.
    Die Leute fragen immer wieder, was ich dachte, als ich das Gefängnis verließ. Die Antwort ist: nichts. Ich habe überhaupt nichts gedacht, genau wie an dem Tag, an dem ich ins Gefängnis gekommen bin. Das Trauma war einfach zu stark. Ich war fast zehn Jahre in Einzelhaft in dieser Betonzelle und hatte nur wenig Besuch gehabt. Von dort aus plötzlich in einen Gerichtssaal voller Leute, Reporter, Kameras und Lärm gestoßen zu werden war überwältigend. Jeder einzelne Mensch dort hatte seinen eigenen Geruch, seine Energie. Es war schön und erstickend zugleich und auf jeden Fall eine Überreizung der Sinne. Zum ersten Mal wieder richtige Kleidung zu tragen – schon das an sich war verwirrend, und wenn man alles andere hinzufügt, war es, als hätte jemand eine Granate in meinem Kopf gezündet. Das Treiben wirbelte um mich herum, aber zugleich war alles sehr weit weg.
    Als es vorbei war und die Ketten weg waren, wurden Jason und ich
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