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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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vielleicht orientierte sie sich mit raschen Blicken, die ich nicht gewahrte, an der des Hotels, die sich, unsichtbar für mich, über meinem Kopf befinden musste. Möglicherweise bot das Hotel aber der Straße keine Uhr, und sie wusste in keinem Augenblick, wie spät es war. Ich hielt sie für eine Mulattin, aber ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen von der Stelle aus, an der ich mich befand.
    Plötzlich brach die Dunkelheit herein, fast ohne sich anzukündigen, wie immer in den Tropen, und obwohl die Zahl der Passanten sich nicht sogleich verringerte, erschien mir ihre Gestalt im schwindenden Licht einsamer, isolierter, noch mehr dazu verurteilt, vergeblich zu warten. Ihre Verabredung würde nicht kommen. Sie hatte die Arme verschränkt und stützte die Ellenbogen in die Hände, als würden die Arme ihr schwerer in jeder Sekunde, die verging, oder vielleicht war es die Tasche, deren Gewicht zunahm. Sie hatte kräftige, zum Warten geeignete Beine, die sich auf ihren dünnen und hohen Absätzen oder Stöckelschuhen in das Pflaster rammten, aber die Beine waren so kraftvoll und auffallend, dass sie sich diese Absätze einverleibten und sich gleichsam selbst fest in den Boden rammten – wie ein Messer in nasses Holz –, wenn sie nach der winzigen Entfernung nach rechts oder links wieder an dem erwählten Punkt stehenblieben. Ihre Fersen ragten über die Schuhe hinaus. Ich vernahm ein leises Murmeln, oder war es ein Klagen, das von dem Bett in meinem Rücken kam, von der kranken Luisa, von meiner frisch angetrauten Frau, die mich so sehr interessierte, sie war meine Aufgabe. Aber ich wandte den Kopf nicht, denn es war ein Klagen, das aus dem Schlaf kam, man lernt sofort, den Schlafton der Person zu erkennen, mit der man das Bett teilt. In diesem Augenblick hob die Frau auf der Straße die Augen zum dritten Stock, wo ich mich befand, und ich glaubte, dass sie zum ersten Mal den Blick auf mich richtete. Sie blickte angestrengt, als wäre sie kurzsichtig oder trüge schmutzige Haftschalen, und schaute verwirrt, sie richtete den Blick auf mich und wandte ihn leicht ab und blinzelte, um besser sehen zu können, und richtete ihn abermals auf mich und wandte ihn ab. Dann hob sie einen Arm, den Arm ohne Tasche, in einer Gebärde, die weder Gruß noch Annäherung war, ich meine Annäherung an einen Fremden, sondern Aneignung und Erkennen, gekrönt von einem raschen Wirbeln der Finger: es war, als wollte sie mich packen mit dieser Armbewegung und dem Geflatter der schnellen Finger, es war mehr ein Packen als ein zu sich Heranziehen. Sie rief etwas, das ich aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte, und ich war sicher, dass sie es mir zurief. Anhand der Bewegung ihrer erahnten Lippen konnte ich nur das erste Wort verstehen, und dieses Wort war »He!«, mit Empörung ausgesprochen, wie der Rest des Satzes, der mich nicht erreichte. Noch während sie sprach, ging sie los, um näher heranzukommen, sie musste die Straße überqueren und über die weite Esplanade gehen, die auf unserer Seite das Hotel von der Straße trennte, so dass es ein wenig vom Verkehr entfernt und geschützt lag. Jetzt, da sie mehr Schritte tat als die wenigen, die sie immer wieder während ihres Wartens getan hatte, sah ich, dass sie mühsam und langsam ging, als wäre sie nicht an die Absätze gewöhnt oder als wären ihre kräftigen Beine nicht dafür gemacht oder als brächte die Tasche sie aus dem Gleichgewicht oder als wäre ihr schwindlig. Sie ging ein wenig so, wie Luisa gegangen war, nachdem ihr schlecht geworden war, als sie ins Zimmer trat, um sich auf das Bett fallen zu lassen, wo ich sie halb entkleidet und dann hineingelegt hatte (ich hatte sie trotz der Hitze zugedeckt). Aber in dieser verdrießlichen Art zu gehen ließ sich auch eine Anmut erahnen, die ihr in diesem Augenblick genommen war: wäre sie barfuß, dann würde diese Mulattin mit Anmut gehen, ihr Rock würde Wellen schlagen und sich rhythmisch an ihren Schenkeln brechen. Mein Zimmer lag im Dunkeln, niemand hatte bei Einbruch der Nacht das Licht angemacht, Luisa schlief unwohl, ich hatte mich nicht von jenem Balkon fortgerührt, schaute auf die Bewohner Havannas und dann auf jene Frau, die weiter mit stolpernden Schritten näher kam und mir weiter etwas zurief, was ich jetzt verstehen konnte:
    »He! Du, was machst du denn da?«
    Ich erschrak, als ich hörte, was sie sagte, aber nicht so sehr, weil sie es zu mir sagte, sondern wegen der Art, in der sie es tat, vertraulich,
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