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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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bedenkt, wie lange man sich das angeblich überlegen soll, selbst in diesen schnelllebigen Zeiten, die nichts zu tun haben mit jenen anderen, obwohl sie ihnen nicht so fern sind (es trennt sie zum Beispiel ein einziges unvollständiges oder vielleicht bereits zur Hälfte abgelaufenes Leben, mein eigenes Leben oder das Luisas), in denen alles bedächtig und langsam war und alles Gewicht besaß, sogar die Dummheiten, ganz zu schweigen vom Tod, dem Tod von eigener Hand, wie der Tod jener Person, die meine Tante Teresa gewesen sein muss und es doch niemals gewesen sein konnte und nur Teresa Aguilera war, von der ich nach und nach erfahren habe, niemals durch ihre jüngere Schwester, meine Mutter, die fast immer schwieg während meiner Kindheit und Jugend und dann ebenfalls starb und für immer verstummte, sondern durch entfernte oder zufällige Personen und schließlich durch Ranz, den Ehemann der beiden und auch einer anderen ausländischen Frau, mit der ich nicht verwandt bin.
    Wenn ich seit kurzem habe wissen wollen, was vor langer Zeit geschah, dann war der eigentliche Grund dafür meine Heirat (aber ich habe eher nicht wissen wollen und es doch erfahren). Seit ich den Bund fürs Leben geschlossen habe (ein veralteter, aber sehr anschaulicher und nützlicher Ausdruck), habe ich begonnen, im Vorgefühl aller möglichen Katastrophen zu leben, ähnlich wie jemand, der sich eine jener Krankheiten zuzieht, von denen man nicht mit Sicherheit weiß, wann man von ihnen geheilt werden kann. Der Ausdruck
den Personenstand ändern,
den man normalerweise leichthin verwendet und der deshalb sehr wenig bedeutet, scheint mir in meinem Fall angemessener und genauer zu sein, und ich verleihe ihm, anders als üblich, einen ernsten Gehalt. Genau wie eine Krankheit unseren Zustand so sehr verändert, dass sie uns bisweilen zwingt, alles zu unterbrechen und für unabsehbare Zeit das Bett zu hüten und die Welt nur noch von unserem Kopfkissen aus zu betrachten, setzte meine Heirat meine Gewohnheiten und sogar meine Überzeugungen außer Kraft, und, was noch entscheidender ist, meine Weltsicht. Vielleicht weil es eine eher späte Ehe war, ich war vierunddreißig Jahre alt, als ich sie schloss.
    Das größte und häufigste Problem zu Beginn einer annehmbar konventionellen Ehe besteht darin, dass trotz ihrer Anfälligkeit in den heutigen Zeiten und trotz der Möglichkeiten, welche den Eheschließenden gegeben sind, ihre Bindung zu lösen, es traditionsgemäß unvermeidlich ist, das unangenehme Gefühl zu empfinden, an ein Ziel und damit an einen Endpunkt gelangt zu sein, oder, besser gesagt (da die Tage gleichmütig aufeinanderfolgen und es kein Ende gibt), dass der Augenblick gekommen ist, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Ich weiß wohl, dass dieses Gefühl schädlich und falsch ist und dass zahlreiche vielversprechende Ehen, kaum dass sie als solche zu existieren beginnen, scheitern, weil man ihm nachgibt oder es für wahr hält. Ich weiß wohl, dass man dieses unmittelbare Gefühl vermeiden und sich eben nicht etwas anderem, sondern genau ihr, der Ehe, widmen muss, als wäre sie das wichtigste Gebäude und die wichtigste Aufgabe, die man vor sich hat, selbst wenn man glaubt, die Aufgabe sei bereits bewältigt und das Gebäude errichtet. Ich weiß das alles sehr wohl, und doch, als ich heiratete, wurde ich noch während der Hochzeitsreise (wir fuhren nach Miami, New Orleans und Mexiko, danach nach Havanna) von zwei unangenehmen Empfindungen heimgesucht, und ich frage mich immer noch, ob die zweite ein bloßes Hirngespinst war und ist, erfunden oder gefunden, um die erste abzumildern oder sie zu bekämpfen. Das erste Unbehagen ist das bereits erwähnte, ein Unbehagen, das nach dem, was man hört, nach der Art von Witzen, die auf Kosten der Heiratswilligen gemacht werden, und nach den vielen destruktiven Sprichwörtern, die es dazu in meiner Sprache gibt, offenbar sämtliche Neuvermählten (vor allem die Männer) an diesem Beginn von etwas empfinden, das man unbegreiflicherweise als das Ende davon sieht und erlebt. Dieses Unbehagen lässt sich in einem erschreckenden Satz zusammenfassen, und ich weiß nicht, was die anderen tun, um sich über ihn hinwegzusetzen: »Und was jetzt?«
    Diese
Personenstandsänderung
ist ebenso unberechenbar wie eine mögliche Krankheit und unterbricht alles oder erlaubt zumindest nicht, dass alles wie bisher weitergeht: sie erlaubt zum Beispiel nicht, dass nach dem Abendessen im Restaurant oder nach dem
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