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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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begangen hatte, den Nachtisch zu servieren, ohne die Teller abzuräumen und neue zu bringen, aber sie wagte nicht, jene Teller einzusammeln und übereinanderzustapeln, für den Fall, dass die abwesenden Tischgäste noch nicht fertig waren und weiteressen wollten (vielleicht hätte sie auch Obst bringen sollen). Da sie angewiesen war, während der Mahlzeit nicht in der Wohnung herumzugehen und sich auf ihre Gänge zwischen Küche und Esszimmer zu beschränken, um nicht zu stören oder die Aufmerksamkeit abzulenken, wagte sie auch nicht, sich dem Gemurmel der aus irgendeinem ihr noch unbekannten Grund an der Badezimmertür gruppierten Gruppe anzuschließen, sondern verharrte abwartend, die Hände auf dem Rücken und mit dem Rücken zur Anrichte, während sie ängstlich auf die Torte schaute, die sie soeben in die Mitte des verlassenen Tisches gestellt hatte, und sich fragte, ob sie nicht besser daran täte, sie angesichts der Hitze sofort wieder in den Kühlschrank zu befördern. Sie trällerte ein wenig vor sich hin, stellte ein umgefallenes Salzgefäß auf, füllte Wein in ein leeres Glas, das der Frau des Arztes, die schnell trank. Nachdem sie einige Minuten lang zugesehen hatte, wie die Torte an Konsistenz zu verlieren begann, unfähig, eine Entscheidung zu treffen, hörte sie die Klingel der Wohnungstür, und da es zu ihren Aufgaben gehörte, die Tür zu öffnen, richtete sie sich die Haube, zog die Schürze gerade, stellte fest, dass ihre Strümpfe nicht schief saßen, und trat in den Flur hinaus. Sie warf einen flüchtigen Blick nach links, dorthin, wo die Gruppe stand, deren Gemurmel und Ausrufe sie voll Neugierde vernommen hatte, aber sie hielt nicht inne und trat nicht näher, sondern wandte sich nach rechts, wie es ihrer Pflicht entsprach. Beim Öffnen wehte ihr Lachen entgegen, das verstummte, und ein starker Geruch nach Kölnisch Wasser (der Treppenabsatz im Dunkeln), der vom ältesten Sohn der Familie ausging oder von seinem frischgebackenen Schwager, der vor kurzem von seiner Hochzeitsreise zurückgekehrt war, denn beide kamen gleichzeitig an, vielleicht weil sie auf der Straße oder am Portal zusammengetroffen waren (bestimmt kamen sie, um Kaffee zu trinken, aber noch hatte niemand Kaffee gemacht). Das Dienstmädchen stimmte fast in ihr Lachen ein, wich zur Seite und ließ sie eintreten und konnte gerade noch sehen, wie sich sofort der Ausdruck ihrer Gesichter veränderte und sie den Flur entlang zu dem umlagerten Badezimmer hasteten. Der Ehemann, der Schwager lief sehr blass hinterher, eine Hand auf die Schulter des Bruders gelegt, als wollte er ihn zurückhalten, damit er nicht zu sehen bekäme, was er sehen konnte, oder als wollte er sich an ihm festhalten. Das Dienstmädchen ging nicht mehr ins Esszimmer zurück, sondern folgte ihnen, wobei sie aus Gründen der Angleichung ebenfalls ihre Schritte beschleunigte, und als sie an die Tür des Badezimmers gelangte, bemerkte sie abermals, stärker noch, den Geruch nach gutem Kölnisch Wasser, der einem der Herren oder allen beiden entströmte, als wäre eine ganze Flasche ausgelaufen oder als hätte sich der Geruch durch einen plötzlichen Schweißausbruch intensiviert. Sie blieb dort stehen, neben der Köchin und den Gästen, und sah aus dem Augenwinkel, dass der Ladenjunge jetzt pfeifend aus der Küche ins Esszimmer ging, sicher auf der Suche nach ihr; aber sie war zu verängstigt, um ihn zu rufen oder ihn auszuzanken oder auf ihn zu achten. Der Junge, der zuvor genug gesehen hatte, blieb wahrscheinlich eine gute Weile im Esszimmer und ging dann, ohne sich zu verabschieden und ohne die leeren Flaschen mitzunehmen, denn als Stunden später die zerflossene Torte endlich abgeräumt und in Papier gewickelt in den Abfall geworfen wurde, fehlte ihr ein beträchtliches Stück, das keiner der Tischgäste verzehrt hatte, und das Glas der Frau des Arztes war abermals ohne Wein. Alle sagten, Ranz, der Schwager, der Ehemann, mein Vater, habe großes Pech gehabt, da er zum zweiten Male Witwer geworden sei.

D as geschah vor langer Zeit, als ich noch nicht geboren war und auch gar keine Möglichkeit für mich bestand, geboren zu werden, mehr noch, erst von jenem Augenblick an gab es für mich die Möglichkeit, geboren zu werden. Jetzt bin ich selbst verheiratet, und es ist noch kein Jahr her, dass ich von meiner Hochzeitsreise mit Luisa, meiner Frau, zurückgekehrt bin, die ich erst seit zweiundzwanzig Monaten kenne, eine rasche Heirat, ziemlich rasch, wenn man
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