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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch
Autoren: Monika Hey
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Wie wichtig wäre es für mich gewesen zu erfahren, dass Trisomie 21 »zu körperlichen Auffälligkeiten und zu mittelgradigen, selten schweren Einschränkungen der geistigen Fähigkeiten führt«, wie ich dem Bericht der Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin an den Deutschen Bundestag von 2002 entnehme. 137 So eine Aussage wäre eine völlig andere Entscheidungsgrundlage für mich gewesen.
    Mit den nicht-medizinischen Aspekten der Pränataldiagnostik und der oft hoch problematischen Entscheidungsfindung werden die Frauen und ihre Partner dann alleine gelassen. Schon dieses Informationsdefizit allerdings widerspricht der Vorstellung von der mündigen Patientin, die eine wohlüberlegte Entscheidung trifft. Daher wäre es wichtig, sich lange vor einer Schwangerschaft mit den Risiken und Chancen der Pränataldiagnostik zu befassen. Und mehr öffentliche Aufklärung wäre nötig, um eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Thema voranzutreiben.
    Das Recht auf Leben gilt als das höchste Gut in unserer Gesellschaft. Doch dieses Recht zu schützen gegenüber einem machtvollen System namens Pränataldiagnostik kann sehr schwierig werden, besonders wenn werdende Eltern allein auf die Medizin vertrauen.
    Seitdem 1995 eine Reform des Paragraphen 218 die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft hat, wird die Abtreibung behinderter Kinder mit der medizinischen Indikation begründet. Damit wurde die körperliche und seelische Gesundheit der Frau in den Mittelpunkt der Gesetzgebung gerückt. Hintergrund der Neuregelung war damals, dass eine Schädigung des Kindes allein kein Rechtfertigungsgrund für eine Spätabtreibung sein sollte. Eine mögliche Benachteiligung oder Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung sollte damit unterbunden werden.
    Doch in der Öffentlichkeit gelten Familien mit behinderten Kindern grundsätzlich als unerträglich belastet, selbst wenn die Behinderung nicht sehr schwer sein sollte. Auch ein Mediziner schreibt in einem Beitrag zu Pränataldiagnostik im Deutschen Ärzteblatt:
    Der Pränatal- und Geburtsmediziner ist zurzeit der einzige Vertreter unter den Ärzten, der mit juristischen Folgen zu rechnen hat, wenn eine Tötung des ihm anvertrauten Patienten im vorgelegten Zeitraum nicht durchgeführt wurde. (…)
    Es wird der Schwangeren aufgrund des Gesetzestextes eine Abtötung des Feten bis zum Wehenbeginn in Aussicht gestellt, es bleibt aber unklar, in welchen Fällen dies möglich ist. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustands ist durchaus auch bei leichten Fehlbildungen wie zum Beispiel der Trisomie 21 möglich. 138
    Statistisch ist seit 1996 nicht mehr deutlich erfassbar, wie viele Abbrüche tatsächlich aufgrund einer diagnostizierten Embryopathie stattfinden, also einer erwarteten Fehlbildung des Kindes. Auffällig ist jedoch, dass die Zahl der sogenannten Spätabbrüche zugenommen hat und die medizinische Indikation immer häufiger als Begründung für einen Abbruch gestellt wird. Während Schwangerschaftsabbrüche insgesamt eine abnehmende Tendenz zeigen.
    Fünfzehn Jahre nach der Gesetzesänderung haben weit mehr als fünfzigtausend Frauen in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation erlebt, davon fünfunddreißigtausend einen Spätabbruch nach der vierzehnten Schwangerschaftswoche. So wie ich. Trotz Abschaffung der embryopathischen Indikation. 139
    Da das Ersttrimester-Screening innerhalb der pränatalen Diagnostik selbst unter Ärzten vorwiegend als Screening auf Down-Syndrom gilt, ist davon auszugehen, dass die meisten dieser Abtreibungen Kinder mit Trisomie 21 töten. Tatsächliche Kenntnisse über die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern mit Down-Syndrom sind jedoch in der Bevölkerung und selbst unter Ärzten spärlich.
    Nicht alle Mediziner, die sich für pränatale Diagnostik aussprechen, halten die Diagnose Trisomie 21 allerdings für eine ausreichende Begründung für einen Schwangerschaftsabbruch, sondern allenfalls für eine gründlich abzuwägende Möglichkeit. Ein Kind mit Down-Syndrom macht die Mutter in der Regel nicht psychisch krank. Und auch die Befürchtung, dass ein krankes oder behindertes Kind eine akute Gefahr für Leib und Leben der Mutter sein könnte, steht auf schwankendem Boden.
    Der Humangenetiker Wolfram Henn berichtet von einer Erhebung, die sich mit der Einstellung von Müttern zu ihren behinderten Kindern befasst. Demnach gibt es Hinweise darauf, dass Mütter von
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