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Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Titel: Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
Autoren: Ulrich Ott
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darin, die Atemzüge zu zählen. Wiederholen Sie noch einmal das Experiment von eben. Zusätzlich zum achtsamen Wahrnehmen der Atmung zählen Sie dieses Mal bei jedem Einatmen und jedem Ausatmen eins weiter: einatmen/eins – ausatmen/zwei – einatmen/drei – ausatmen/vier usw., bis Sie bei zehn angekommen sind. Dann beginnen Sie mit dem nächsten Einatmen erneut bei eins. Sie können auch nur bis acht oder bis zwölf oder zwanzig zählen – das spielt keine entscheidende Rolle. Wichtiger ist, dass Sie trotz des Zählens den größten Teil Ihrer Aufmerksamkeit nach wie vor der Atmung widmen. Das Zählen sollte dagegen nur einen kleinen Teil der Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, in Zahlen ausgedrückt nicht mehr als zehn oder zwanzig Prozent.
    Obwohl das Zählen nur im Hintergrund stattfindet, stellt es eine geistige Beschäftigung dar, die das Abdriften in Gedanken erschwert. Zudem können Sie ein Abdriften leicht daran bemerken, dass Sie vergessen, bei welcher Zahl Sie gerade sind, oder automatisch über zehn hinaus zählen. Wiederholen Sie also nun das Experiment und prüfen Sie, ob sich durch das Zählen die Zeitspanne bis zum Bemerken des ersten Abschweifens tatsächlich verlängert. Erleben Sie das Zählen als Unterstützung, als Ablenkung, oder macht es keinen Unterschied? Waren Sie beim zweiten Durchgang vielleicht schon etwas ermüdet oder besser geübt? Wiederholen Sie beide Varianten, und notieren Sie die jeweiligen Zeiten in einer Tabelle, um einen Eindruck von der Schwankungsbreite zu gewinnen.
    Sie können bei diesen einfachen Übungen bemerken, wie schnell sich ablenkende Gedanken einschleichen können. Anstatt von Moment zu Moment die Atemempfindungen wahrzunehmen, beginnen Sie vielleicht darüber nachzudenken, wie gut Ihnen diese Aufgabe doch gerade gelingt und dass Sie ja schon so lange achtsam sind. Sie beginnen schon während der Übung zu vergleichen, wie sich diese von der anderen Variante (mit/ohne Zählen) unterscheidet. Oder Sie fragen sich, ob das vielleicht gerade ein Gedanke war, der als Abschweifung zählt. Sie erhalten hier einen ersten Eindruck davon, wie subtil und trickreich das Spiel der Gedanken ist, und lernen, die eigene Gedankentätigkeit bewusster wahrzunehmen und zu beeinflussen. Im Kapitel »Denken« wird auf diesen Punkt ausführlich eingegangen werden.
    Wenn es Ihnen problemlos gelingt, beim Einatmen und Ausatmen zu zählen, dann können Sie den Schwierigkeitsgrad der Übung dadurch erhöhen, dass Sie nur noch beim Ein- oder beim Ausatmen eins weiter zählen. Damit werden die Lücken zwischen den Zählschritten verlängert. So bleibt mehr Aufmerksamkeit für die Atmung, aber auch das Risiko zum Abdriften steigt, und die letzte Zahl muss länger im Gedächtnis behalten werden.

    Wenn das Zählen der Atemzüge Ihnen zusagt, können Sie darüber die Dauer Ihrer Meditationssitzung bestimmen, indem Sie zum Beispiel messen, wie lange zehn Atemzüge dauern, und dann pro Sitzung eine entsprechende Anzahl von »Zehner-Runden« Atemachtsamkeit praktizieren. Gegenüber dem Meditieren mit einem Wecker hat dies den Vorteil, dass Sie nicht von außen kontrolliert und zum passiven »Absitzen« der Zeitspanne verführt werden.
    Sie können die Zahl der Atemzüge auch allmählich steigern, indem Sie zuerst nur bis zwei zählen (ein Einatmen und ein Ausatmen), dann bis vier, sechs usw. Nehmen Sie erst einen weiteren Atemzug dazu, wenn Sie mehrmals erfolgreich durchgezählt haben. Denken Sie aber daran, dass das Zählen nicht im Mittelpunkt stehen soll, sondern lediglich ein Hilfsmittel darstellt. Um sich an die eigentliche Übung zu erinnern, können Sie diese »in Reinkultur« durchführen, indem Sie zwischen jeder Zehner-Runde bewusst einen Atemzug einschieben, bei dem Sie überhaupt nicht zählen, sondern 100 Prozent Ihrer Aufmerksamkeit auf die Atemempfindungen richten.
    Es gibt noch viele weitere Varianten, mit dem Zählen der Atemzüge zu meditieren, und es bleibt Ihrer Experimentierfreude und Ihrem Erfindungsreichtum überlassen, eigene Übungen zu entwickeln. Das Zählen hat die Funktion eines Hilfsmittels, das sich mit der Zeit selbst überflüssig macht. Probieren Sie also immer wieder einmal aus, ob sich Ihre Fähigkeit zur achtsamen Wahrnehmung der Atmung so weit entwickelt hat, dass Sie auf das Zählen verzichten können. Falls Ihnen das Zählen zu nüchtern oder technisch erscheint, können Sie alternativ auch die nachfolgende Übung ausprobieren.
    Atem und Wort
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