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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder
Autoren: Shayol Verlag
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Uniform geholt hatte, öffnete damit eine Schublade und zog sie heraus. »Wir brauchen mehr Benzin. Schau, ob du Automobile oder Lastwagen findest.«
    Hinter ihm war Paul an eine Waschschüssel herangetreten, griff nach der Kanne, schüttete Wasser ins Becken, um sich mit dem Schaum einer Seife die Hände und sein Gesicht zu waschen. Er nahm ein Handtuch vom Stapel.
    »Sieh her, Junge«, klang Rhombus’ tiefe Stimme auf, und Paul knüllte das Handtuch zusammen, warf es in den Wäschekorb, bevor er sich zu ihm umdrehte.
    Mit einer Faust auf Augenhöhe stand der Alte da, die Lippen schmal, das Auge verschlagen – doch dann lachte er hart, es klang wie ein Bellen, und öffnete die Hand, sodass ein silbernes Kleinod an einer Kette herausfiel. Es war ein Orden.
    »Für deine Verdienste im Namen der …« Rhombus brach ab, sein Maschinenauge klackte. »Na, weil du mir beim Lichtwerk geholfen hast, zeichne ich dich mit dem Adlerkreuz erster Klasse aus. Gute Arbeit, Rekrut.«
    »Oh«, machte Paul, über beide Ohren strahlend, als der Veteran ihm den Orden umhängte. Das war alle Mühe wert!
    Lisa schmunzelte. »Nicht, dass dir noch die Brust platzt, Kleiner.« Dann, mit strengerer Mine, zu Rhombus: »Du solltest ihn nicht ermutigen, sich an gefährlichen Orten rumzutreiben. Irgendwann wird er sich verletzen, oder Schlimmeres passiert.«
    »Nur hat der Bengel recht«, seufzte Rhombus, als er beide Hände auf Pauls Schultern legte. »Ich brauche seine Augen und seine flinken Beine. Sonst wird das Lichtwerk niemals fertig.«
    »Ach was«, sagte Paul, der verlegen den Orden bestaunte: »Schön ist der. Wofür hast du ihn bekommen?«
    Doch Rhombus überhörte die Frage. »Es ist schon spät, Kinder«, brummte er und streckte den Arm vor. »Verriegelt die Fenster. Und legt euch hin.«
    In einer Nische rechts vom Kamin stand ein großes Ehebett, dessen Gestell in der Mitte geteilt war: Wolldecken hingen zwischen den einzelnen Hälften – so hatte jeder sein Abteil, links sie, und rechts schlief Paul. Nachdem Rhombus den Nebenraum hinter sich abgeschlossen hatte, zupfte Lisa ihr Nachthemd unter dem Kissen hervor. »Dreh dich weg, ich will mich umziehen.«
    »Und wenn ich die Augen zumache?«
    »Ha, den Trick kenne ich schon«, sagte sie und strich derweil ihr Nachthemd glatt. »Sei so lieb, Paul. Du bist zu alt, mir dabei zuzuschauen.«
    »Was du immer hast …« Er streckte ihr die Zunge raus, wandte sich aber zum Fenster ab.
    Draußen die Immernacht.
    ***
    Im Halbschlaf lauschte er dem steten Knacken des Feuers, als würde das Grammophon noch auf leerer Rille laufen. Der Geruch des Kissens, das ruhige Atmen von Lisa, die sofort eingeschlafen war – und ein Flüstern, ganz leise, obwohl der Phasenmesser abgeschaltet auf der Kommode stand: ein seltsames Fisteln, wie Luft, die einem Rohr entströmte; doch Paul war zu müde, um länger darauf zu achten. Es schien ohnehin weit weg …
    Und so zog er die Bettdecke bis zum Hals, räkelte sich, rieb die Füße aneinander, bis er in einem Traum versank:
    Wasser, Wasser, und hohe Wände, von denen die Farbe abblätterte: Paul glitt durch die Katakomben, und das Licht der Feuerfalter schwamm auf den Wellen voraus, kroch an den Stützpfeilern hoch, die das Kuppeldach mittrugen, weit über ihm im Schatten.
    Die Asche lag dicht.
    Langsam, unwirklich langsam, trat das verfallene Schulgebäude aus der Dunkelheit. Der Türsturz hing abgesackt und schräg wie eine Guillotine ins Eingangsportal runter – und als der Kiel gegen den Bordstein stieß, erzitterte das ganze Gebäude wie von einer Bombe getroffen.
    Ein fremder Wille ließ Paul nach der Laterne greifen, das Boot verlassen und die Treppen hochsteigen. Sand knirschte unter seinen Stiefeln, während er die Schule betrat:
    In der Aula herrschte ein Wispern, ein Raunen, tausend Stimmen schienen hektisch zu sprechen, aber niemand war hier, außer Schemen, die über die nackten Wände huschten. Um sie zu verscheuchen, hob Paul die Laterne höher, schwenkte sie nach links, nach rechts, dann nach unten, wobei er hastig den Boden absuchte:
    Fliesen, gesplittert, und ölige Pfützen spiegelten das Licht; eine Glasvitrine, in Scherben; ein Schulranzen; eine Mütze; ein rostiges Fahrrad. An der Stirnseite führten Wendeltreppen zum oberen Stockwerk und runter, zur Sporthalle, zu den Umkleiden; und in den Heizkeller, wo Paul den Konverter gefunden hatte.
    Etwas zog ihn magisch dorthin. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen, doch die Beine
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