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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Autoren: Jean-Claude Izzo
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war bis jetzt unser bester Coup.«
    Manu verschwand über die Rue des Martégales, Ugo über die Avenue Saint-Jean. Ich nahm die Rue de la Loge. Aber ich traf mich nachher nicht wie sonst mit ihnen im Péano. Ich ging nach Hause und kotzte. Dann fing ich an zu trinken. Zu trinken und zu heulen. Ich saß auf dem Balkon, blickte auf die Stadt und hörte meinen Vater schnarchen. Er hatte schwer geschuftet und gelit ten, aber nie - mals würde ich so glücklich sein wie er, dachte ich. Dann lag ich vollkommen betrunken auf meinem Bett und schwor bei meiner Mutter, vor ihrem Porträt, dass ich Priester werden würde, wenn der Typ überlebte, und Polizist, wenn er es nicht schaffte. Egal was, aber ich schwor. Am nächsten Morgen verpflichtete ich mich drei Jahre für die Kolonialarmee. Der Typ war weder tot noch lebendig, aber bis an sein Lebensende gelähmt. Ich bat darum, wieder nach Dschibuti versetzt zu werden. Dort sah ich Ugo zum letzten Mal.
    All unsere Schätze waren hier, in der Fischerhütte. Unversehrt. Die Bücher, die Platten. Und ich hatte als Einziger überlebt.
    »Ich hab dir Focaccia gemacht«, hatte Honorine auf einen kleinen Fetzen Papier geschrieben. Focaccia war eine Art Croque-Mon sieur, aber mit Pizzateig statt mit Baguette. Die Teigtasche wird nach Belieben gefüllt und heiß serviert. Heute Abend waren gekochter Schinken und Mozzarella drin. Wie jeden Tag seit Toinous Tod vor drei Jahren hatte Honorine mir eine Mahlzeit vorbereitet. Sie hatte die siebzig erreicht und kochte gern. Aber nur für einen Mann konnte sie kochen. Ich war ihr Mann. Und ich verehrte sie. Mit der Focaccia und einer Flasche Cassis Blanc — ein Clos Boudard, Jahrgang 91 — machte ich es mir im Boot bequem. Ich ruderte hinaus, um die Nachbarn nicht in ihrem Schlaf zu stören. Hinter dem Damm ließ ich den Motor an und nahm Kurs auf die Insel Maire.
    Dort fühlte ich mich wohl. Zwischen Himmel und Meer. Vor mir erstreckte sich die ganze Marseiller Bucht wie ein Leuchtwurm. Ich ließ das Boot treiben. Mein Vater hatte die Ruder eingezogen. Er hielt mich mit beiden Händen fest und sagte: »Hab keine Angst.« Er tauchte mich bis zu den Schultern ins Wasser. Der Kahn neigte sich auf meine Seite, und sein Gesicht war direkt über meinem. Er lächelte mich an. »Das tut gut, was.« Ich nickte. Ganz und gar nicht überzeugt. Er tauchte mich noch einmal ein. Es tat wirklich gut. Das war meine erste Berührung mit dem Meer. Ich war gerade fünf. Dieses Bad war ein fester Punkt in meiner Vergangenheit, und ich kam jedes Mal darauf zurück, wenn Traurigkeit mich übermannte. So wie man versucht, sich an sein erstes Glück zu erinnern.
    An diesem Abend war ich traurig. Ugos Tod lastete mir schwer auf der Seele. Ich war bedrückt. Und allein, mehr denn je. Jedes Jahr strich ich einen Kumpel, der eine rassistische Bemerkung gemacht hatte, aus meinem Adressbuch. Diejenigen, die nur noch von neuen Autos und Ferien im Club Méd träumten, ließ ich links liegen. Ich vergaß alle, die Lotto spielten. Ich liebte das Fischen und die Stille. Spaziergänge in den Hügeln. Spät nachts gut gekühlten Cassis, Lagavulin oder Oban zu trinken. Ich sprach wenig. Zu allem hatte ich eine Meinung. Zu Leben und Tod, Gut und Böse. Ich war verrückt nach dem Kino. Hörte leidenschaftlich gern Musik. Zeitge - nössische Romane las ich nicht mehr. Und mehr als alles andere verabscheute ich Schlappschwänze und Weicheier.
    Mit dieser Haltung hatte ich nicht wenige Frauen verf ü hrt. Halten konnte ich keine. Es war jedes Mal die gleiche Geschichte. Kaum fühlten sie sich wohl in den neuen Leintüchern und hatten sich im Leben zu zweit eingerichtet, meinten sie, ändern zu müssen, was ihnen an mir nicht gefiel. »Dich kriege ich nicht wieder hin«, hatte Rosa gesagt, als sie vor sechs Jahren ging. Zwei Jahre lang hatte sie es versucht. Ich hatte ihr widerstanden. Besser noch als Muriel, Carmen und Alice. Irgendwann kam immer wieder die Nacht, in der ich mich vor einem leeren Glas und einem vollen Aschenbecher wiederfand.
    Ich trank den Wein direkt aus der Flasche. Wieder eine von diesen Nächten, in denen ich nicht mehr wusste, warum ich Polizist war. Vor fünf Jahren hatte man mich der Brigade zur Überwachung sicherheitsgefährdeter Gebiete zugeteilt. Einer Einheit von Polizisten ohne Spezialausbildung, die den Auftrag hatte, in den Vororten für Ordnung zu sorgen. Ich hatte Erfahrung, war kaltblütig und schwer aus der Ruhe zu bringen. Genau der Typ, den man
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