Marschfeuer - Kriminalroman
zu, dann wandte er sich an Lyn.
»Kümmere du dich um den Jungen. Ich sehe mich inzwischen mit den Kollegen auf
dem Schiff um.«
Markus Lindmeir lag in
Embryo-Haltung auf seinem Bett, als Lyn seine Kabine betrat. Der Arzt saß auf
einem Stuhl daneben.
»Markus?«, fragte Lyn
ruhig. Der Junge richtete sich schluchzend auf. Es schien, als sei er froh,
jemanden Bekanntes zu sehen. Und sei es nur die Polizei.
»Mein Vater … er … er
hat … er ist …« Er ließ sich wieder auf sein Bett zurückfallen und grub seinen
Kopf in das Kissen.
»Er hat sich geweigert,
eine Beruhigungsspritze von mir anzunehmen«, klärte der Bordarzt Lyn in gut
verständlichem Englisch auf, nachdem sie ihm ihren Dienstausweis gezeigt hatte.
Lyn nickte und setzte
sich auf die Bettkante. Ihr Blick fiel auf ein aufgerissenes Kuvert auf dem
Nachttisch. »Markus« stand darauf. Vier lose Blätter lagen auf dem Fußboden.
Lyn griff nach einem Blatt. Eine steile Handschrift war zu erkennen–
keinesfalls als weiblich anzusehen. Aber Lyn kam nicht dazu, eine Zeile zu
lesen.
»Das ist meins.« Markus
Lindmeir hatte sich aufgerichtet und riss ihr den Briefbogen aus der Hand. Rot
verquollene Augen stierten sie an. »Ihrer ist dahinten. Er … er hat Ihnen auch
einen Brief geschrieben. Da können Sie selbst lesen, was … er … getan hat. Und was er ist .« Er drehte sich von ihr
weg und starrte zur Wand. »Nein, nicht was er ist. Sondern was er war. Ich …
ich bin froh, dass er tot ist. Froh!« So viele Emotionen lagen in seiner
Aussage, in seiner Stimme. Unverständnis, Verachtung, Wut.
Lyn griff nach seiner
Hand. »Nein, Markus, Sie sind nicht froh. Sie stehen unter Schock. Ich denke,
ich weiß, was Ihr Vater Ihnen in dem Brief geschrieben hat. Bitte lassen Sie
sich von dem Arzt eine Beruhigungsspritze geben.«
»Sie wissen, dass er
eine Scheiß-Transe ist«, schrie er und klatschte mit der rechten Hand immer
wieder auf den Briefbogen in seiner linken, »und dass er Onkel Hinrich
umgebracht hat? Sie wissen das? Und ich nicht?«
»Wir haben gerade erst
von der Transsexualität Ihres Vaters erfahren, Markus. Wo ist der andere
Brief?«
Er nickte Richtung
Tisch.
Lyn stand auf und griff
nach dem edlen Kuvert, auf dem in der gleichen steilen Handschrift
»Kriminalpolizei« geschrieben stand. Sie riss den Umschlag auf und las:
»Ich, Paul Ambrosius
Lindmeir, gestehe hiermit, Hinrich Jacobsen getötet zu haben. Hinrich Jacobsen
hat auf seiner Geschäftsreise von meiner Transsexualität erfahren. Am Abend seiner
Heimkehr suchte er mich auf und stellte mich zur Rede. Nachdem ich ihm die
Wahrheit über mich erzählt hatte, sagte er nur, dass er sämtliche privaten und
geschäftlichen Verbindungen umgehend aufzulösen gedenke. Ich habe ihn mit einer
Eisenstange erschlagen. Ich gestehe außerdem, Waldemar Pankratz– vorbeugend–
erdrosselt und im Tank der Jacht ›Rigani‹ versteckt zu haben. Ich schaffte den
Leichnam von Hinrich Jacobsen in dessen Hütte und zündete sie an, in der
Hoffnung, die Polizei in die Irre führen zu können. Ich fuhr zurück nach
Glückstadt und spielte im Hause Jacobsen das von Ihnen erkannte Szenario, um
Margarethe Jacobsen zu täuschen. Am nächsten Tag erschien Kevin Holzbach in
meinem Büro und verlangte Schweigegeld. Er hatte mich beim Reinschaffen der
Leiche und dem späteren Anzünden der Hütte beobachtet, ohne zu wissen, dass es
sich bei dem Toten um Hinrich Jacobsen handelte. Seine Forderungen wurden bei
Bekanntwerden dieser Tatsache noch höher. Ich gestehe, Kevin Holzbach getötet
zu haben, um nicht weiter erpressbar zu sein.«
»Mein Gott«, sagte Lyn
nur. Ihre Armhärchen hatten sich beim Lesen des Briefes aufgestellt. Eine von
PaulA. Lindmeir unterschriebene sachliche Auflistung von Grausamkeiten.
Sie sah Markus Lindmeir
an. »Bitte geben Sie mir auch Ihren Brief, Markus.«
Als er sich nicht
rührte, sammelte sie die Blätter vom Boden auf und streckte die Hand nach dem
Blatt aus, das er noch in seiner Hand hielt. »Das ist Beweismaterial, Markus.
Sie müssen mir den Brief geben. Bitte.«
Wütend warf er das leichte
Papier zu ihr hin. »Hier! Ich scheiß drauf. Ich will nichts mehr von ihm haben.
Gar nichts.«
Lyn überflog den Brief
an Markus Lindmeir. Im Gegensatz zu dem sachlichen Schreiben an die Kripo troff
dieser Brief über vor Emotionen. Die Liebe Paul Lindmeirs zu seinem Sohn
spiegelte sich auf allen Seiten wider. Zwar hatte er auch hier keine der
Gräueltaten verschwiegen, aber er
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