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Markheim

Titel: Markheim
Autoren: Robert Louis Stevenson
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mit Eisenklammern. Er wußte nicht, was war; ob der Tote auferstanden war, ob die offiziellen Häscher der menschlichen Justiz ihn greifen wollten, ob ein zufälliger Zeuge hier blind hineinstolperte, um ihn dem Galgen zu überliefern. Als jedoch ein Gesicht sich durch die Öffnung schob, im Zimmer umherblickte, ihm wie in freundschaftlichem Erkennen zunickte und lächelte, und sich dann wieder zurückzog, brach seine Furcht in einem heiseren Schrei durch. Bei diesem Laut kehrte der Besucher wieder um.
    »Haben Sie mich gerufen?« fragte er freundlich, und mit diesen Worten trat er, die Tür hinter sieh schließend, ins Zimmer.
    Markheim stand und starrte ihn krampfhaft an. Vielleicht lag ein Schleier über seinen Augen, aber es war ihm, als ob die Konturen des Ankömmlings sich wandelten und verschwammen, wie die der Götzen in dem unruhigen Kerzenlicht des Ladens. Mitunter kam er ihm bekannt vor, dann wieder schien er ihm selbst zu gleichen; und dabei lastete unablässig, gleich einem schweren Stein und voll lebendigsten Entsetzens, die Überzeugung auf seiner Brust, daß das Wesen dort nicht von dieser Welt und auch nicht vom Himmel sei.
    Und dennoch – das Geschöpf sah seltsam alltäglich aus, wie es so dastand und Markheim lächelnd ansah, und als es gar hinzufügte: »Sie suchen, soviel ich weiß, dasGeld?« waren seine Worte in dem üblichen Ton eines höflichen Mannes.
    Markheim antwortete nicht.
    »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen,« fuhr der andere fort, »daß das Dienstmädchen sich heute früher als gewöhnlich von seinem Schatz getrennt hat und bald hier sein wird. Sollte Herr Markheim hier im Hause gefunden werden, so brauche ich ihn wohl nicht erst auf die Folgen hinzuweisen.«
    »Sie kennen mich?« rief der Mörder.
    Der Besucher lächelte. »Seit langem gehören Sie zu meinen ganz besonderen Freunden,« sagte er, »und schon lange habe ich Sie beobachtet und Ihnen helfen wollen.«
    »Wer sind Sie?« rief Markheim? »der Teufel?«
    »Wer ich bin,« erwiderte der Andere, »hat nichts mit dem Dienst zu tun, den ich Ihnen leisten möchte.«
    »Nein,« rief Markheim, »nein! Mir von Ihnen helfen lassen? Niemals; von Ihnen nicht. Noch kennen Sie mich nicht; dem Himmel sei Dank, mich nicht.«
    »Ich kenne Sie,« entgegnete der Gast in gleichsam freundlich-strengem oder festem Ton. »Ich kenne Sie bis auf den Grund Ihrer Seele.«
    »Mich kennen!« rief Markheim, »Wer kann das? Mein Leben ist nichts als eine Travestie, eine Verleumdung meiner selbst. Ich habe gelebt, um meine Natur Lügen zu strafen. Alle Menschen tun das; alle Menschen sind besser als die Maske, die sie tragen, die ihnen anwächst und sie erstickt. Sehen Sie nicht, wie das Leben sie packt und mit sich reißt, wie einen Menschen, den Räuber in einen Mantel hüllen undmit sich schleppen? Könnten sie, wie sie wollten – könnten Sie ihre Gesichter sehen, sie wären ganz anders; sie würden als Heroen und Heilige erglänzen. Ich bin schlimmer als die meisten; trage eine ärgere Verkleidung; meine Entschuldigung kennen nur Gott und ich allein. Hätte ich Zeit dazu, ich würde mich enthüllen.«
    »Sich mir enthüllen?«
    »Ihnen vor allem,« entgegnete der Mörder. »Ich hielt Sie für intelligent. Ich glaubte – da Sie wirklich existieren – Sie verstünden im Herzen zu lesen. Und doch wollen Sie mich nach meinen Taten beurteilen! Überlegen Sie, was das heißt, nach meinen Taten! Ich bin unter Riesen zur Welt gekommen, habe unter Riesen gelebt; Riesen haben mich, von dem Tage meiner Geburt an, bei der Hand genommen und fortgeschleppt – die Riesen des Zufalls, der Umgebung. Und Sie wollen mich nach meinen Taten beurteilen! Können Sie denn nicht in mein Inneres hineinsehen? Können Sie denn nicht begreifen, daß ich das Böse hasse? Erkennen Sie denn nicht in meinem Innern die klare Schrift des Gewissens, die keine willkürlichen Sophismen auszulöschen vermochten, wenn ich sie auch gar zu oft unbeachtet ließ? Erkennen Sie mich denn nicht als ein Wesen, das so weit verbreitet ist wie die Menschheit selbst – als den Sünder wider Willen?«
    »Alles, was Sie sagen, klingt sehr schon,« lautete die Antwort, »geht mich aber nichts an. Fragen der Charakterstärke fallen nicht in mein Gebiet, und es ist mir ganz gleichgültig, durch welchen Zwang Sie sich haben mitreißen lassen, vorausgesetzt, daß es in der richtigenRichtung war. Aber die Zeit fliegt; das Dienstmädchen hat es zwar nicht eilig; sie sieht sich die Volksmenge an
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