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Marianne & David (German Edition)

Marianne & David (German Edition)

Titel: Marianne & David (German Edition)
Autoren: Reimund J. Dierichs
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Ganz unerwartet legte der andere Mann seine Hand auf Davids Arm, was dieser seltsamerweise geschehen ließ. Keine Panik, keine Schweißausbrüche. Er spürte, dass die Hand ihn beruhigen wollte, ihm Hilfe sein sollte und kein plumper Annäherungsversuch war.
    „Verheiratet?“
    David zuckte zusammen. Er kam sich vor wie ein gläsernes Gefäß, in das man hineinschauen konnte und dessen Inhalt sich jedem offenbarte. Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, wie es möglich war, dass ein Fremder etwas über ihn wissen konnte oder ob er vielleicht nur eine Vermutung aus-gesprochen hatte, hörte er dessen Stimme. Seine Hand hatte er inzwischen zurückgezogen, so als ob er die Verunsicherung des neuen Gastes nicht noch vergrößern wollte.
    „Ich bin kein Hellseher.“ Er lachte aufmunternd. „Aber du machst mir den Eindruck, als ob du völlig neu in der Szene bist.“
    David fragte sich, wieso das über seinen Familienstand Aufschluss geben sollte, sagte aber kein Wort. Er wartete geduldig, bis der andere weiterredete.
    „Ich heiße übrigens Jonathan.“ Er lachte erneut. Ein warmes, herzliches Lachen, das eine Reihe weißer, ebenmäßiger Zähne zum Vorschein brachte. „Ich schätze, dass du ungefähr in meinem Alter bist. Also kein Teenager mehr.“ Er hielt inne, so als ob er nicht wüsste, wie er den nächsten Satz beginnen sollte, ohne dass die Worte schroff klängen und sein Gegenüber verletzten könnten. „Wenn du weißt, dass du schwul bist, versuchst du schon als junger Mensch die Orte aufzusuchen, an denen du Leute treffen kannst, die ähnlich wie du empfinden. Ich habe das schon mit siebzehn gemacht, und obwohl ich ein eher zurückhaltender Mensch bin, wurde ich im Laufe der Jahre mit den Gepflogenheiten der Szene vertraut und gewann dadurch Sicherheit. Wenn du dich eben selber gesehen hättest, wüsstest du, was ich meine.“
    David wusste es nur zu gut. „Aber“, entgegnete er, „es wären doch auch noch andere Schlussfolgerungen möglich gewesen.“
    „Welche denn beispielsweise?“ fragte Jonathan, der dann, ohne abzuwarten, selbst die Antwort lieferte: „Natürlich hättest du zu den wenigen Sonderfällen gehören können, die schon immer wussten oder ahnten, dass sie sich für Männer interessieren, sich aber nie getraut haben, ihrem Wunsch nachzugeben; aber da gibt es vielleicht einen unter zehntausend, und meistens sind starke religiöse Motive das Hindernis. Alle anderen, egal welche Ängste und sozialen Bindungen sie verpflichten, ein Geheimnis aus ihren sexuellen Präferenzen zu machen, gehen ihren Wünschen dennoch nach: an anonymen Orten wie Klappen oder dafür bekannte Parkanlagen, durch Mieten eines Callboys oder indem sie die Gelegenheit wahr-nehmen und Treffpunkte wie diesen hier aufsuchen.“
    Er machte eine lange Pause, um David mit dessen Ein-verständnis ein neues Bitter zu bestellen und für sich selbst einen Gin Tonic.
    „Nur wer sich seiner Sache nicht sicher ist oder immer der Annahme war, heterosexuell zu sein, wird sein erstes Auftreten auf diesem Parkett im vergleichsweise hohen Alter haben.“
    Er hob leicht die Schultern an, was als Geste der Entschul-digung gedeutet werden konnte. Was er dann sagte, war vielleicht als Versuch der Wiedergutmachung zu verstehen, obwohl er sich gar nichts hatte zu Schulden kommen lassen.
    „Was auch immer dich bewegt hat, erst jetzt zu uns zu stoßen. Es freut mich, dass du da bist.“
    Er hob sein Glas und prostete David zu. Der fühlte sich geschmeichelt, war aber gleichzeitig peinlich berührt, was ihm die Röte ins Gesicht trieb. Die Fragen, die Jonathan ihm in der darauffolgenden Stunde stellte, beantwortete er nur widerwillig. Es lag nicht einmal daran, dass er sich einem Fremden anver-trauen musste, das erleichterte die Sache sogar noch; es hatte eher damit zu tun, dass er befürchtete, seine Ahnungen könnten zur Gewissheit werden. Es war kein bewusster Prozess; er spürte die Blockaden und diese verhinderten, offen über seine Gefühle zu reden, obwohl der Wunsch da war.
    Jonathan war ein geschickter Interviewpartner. Er stellte scheinbar belanglose Fragen, wie die nach Mariannes Lieblings-parfüm und wollte wissen, ob David diesen Duft auch schätzte, um dann nachzuhaken und in Erfahrung zu bringen, welche Gerüche er nicht ausstehen konnte. Eine allgemeine und scheinbar harmlose Frage, aber zu seiner Schande musste sich David eingestehen, dass er Mariannes Körperausdünstungen nicht mochte, wenn sie stark schwitzte.
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