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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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undeutlichen Handbewegung ab.
    Ronald gab ihm ein fürstliches
Trinkgeld, Jaime nahm es erfreut, aber ohne Unterwürfigkeit hin, und dann
verabschiedeten sie sich mit Handschlag wie zwei Freunde. »Seien Sie gut zu
meinem Wagen.«
    »Ich werde ihn behandeln wie
meine Frau. Ich liebe meine Frau. Sie ist Österreicherin.«
    »Fein.«
    Wenige Minuten später hob sich
die leichte Maschine, die Ronald nach Madrid brachte, vom Boden. Er sah Jaime
neben seinem Auto stehen und mit beiden Händen begeistert winken. Ein wenig
erschöpft von der Hetzerei lehnte er sich in die Polster zurück und blinzelte
der Sonne zu.
     
    Als sie hinter die
veilchenfarbene Wolkenwand tauchte, hatte Ronald auf dem großen Flughafen von
Madrid bereits die Maschine gewechselt. Er saß nun in einem komfortablen
Luftriesen und versuchte sich auszurechnen, wie spät es hier war, wenn er
morgen um 16.30 Uhr in Rio ankäme. Nico Zwo würde um diese Stunde längst
schlafen, denn es mußte hier dann bereits halb acht Uhr abends sein. Er hätte
also die Zeit um volle drei Stunden beschummelt. Die Vorstellung,
ununterbrochen die Welt zu umfliegen, die Sonne praktisch nie sinken zu sehen
und dadurch die Zeit theoretisch zum Stillstand zu bringen, belustigte ihn.
Neben ihm die massive alte Dame, die ihre braun gefleckten Hände so mit Schmuck
beladen hatte, daß sie ihr bleischwer im Schoß lagen, belustigte ihn ebenfalls.
Jedes Ding, an das seine Augen und seine Gedanken sich hefteten, hatte eine
heitere Note. Der Musterschüler Gutting, der heute zum erstenmal die Schule
schwänzte und dabei entdeckte, wie schön die Welt jenseits der Statuten war,
fühlte sich beschwingt. Durchbrennen war eine großartige Sache!
    Unmerklich glitten seine
Gedanken in Träume hinüber, und er nickte ein. Als die Maschine in Dakar zur
Landung ansetzte, hatte er mit Paul Uckermann gerade eine heftige
Auseinandersetzung über Sheilas roten Bademantel. Uckermann behauptete, er sei
für ein Malerauge blau.
    Nur langsam fand Ronald in die
Wirklichkeit zurück. Die Stewardeß stand vor ihm. Sie berührte seine Schulter
und drängte ihn freundlich, sich für die Landung fertig zu machen. »Schnallen
Sie sich bitte fest«, sagte sie.
    Merkwürdigerweise empfand er
keine Spur von Reue, als ihm die Erkenntnis kam, wo er sich befand. Jetzt galt
es nur noch, den Ozean zu überqueren. Kleinigkeit. Später Zwischenlandung in
Recife und dann Rio de Janeiro. Er freute sich diebisch auf Rio. Schon als
kleiner Junge hatte er eine romantische Sehnsucht nach dieser in viele bizarr
geformte Berge eingebetteten Tropenstadt gehabt. Er kannte sie von zahllosen
Beschreibungen und Bildern her. Wenn er die Augen schloß, stand die Botafogu
mit dem Pao d’Assucar, dem Zuckerhut, so plastisch vor ihm, als hätte er einen
großen Teil seines Lebens in Rio verbracht. Er sah den breiten, grünen
Waldgürtel, der diese Stadt liebevoll umschloß. Bald würde er über die Avenida
Getulio Vargas, die neunzig Meter breite Prachtstraße Rios, fahren, auch über
die berühmte Strandpromenade Avenida Beira-Mar, die von der Guanarabucht zur
Küste mit dem Hotelviertel Copacabana führte. Alle diese Namen memorierte er
und war stolz darauf, wie gut er sie noch im Gedächtnis hatte. Da er die Hände
gefaltet hielt und die Lippen bewegte, warf die Stewardeß einen mütterlichen
Blick auf ihn. Ronald fing ihn auf und versuchte ihn zu deuten. Sie glaubt, ich
habe Angst vor der Landung und bete ein Vaterunser, dachte er. Na gut. Er
lächelte ihr zu. Beten war in seiner Situation nicht das schlechteste. Er mußte
den Himmel auf seiner Seite wissen, um nach der ersten unvollkommenen
Lebenshälfte einen zweiten glücklicheren Teil herauszuwirtschaften.
    Pünktlich um 16.30 Uhr setzte
die Maschine auf dem riesigen Flughafen Santos Dumont auf. Eine Viertelstunde
später hielt Ronald einem Taxichauffeur den Zettel mit Jeannettes Anschrift
hin. Der Chauffeur warf nur einen kurzen Blick darauf. Er nickte.
    In einem weißen Taxi durch Rio!
Das weiße Taxi wurde für ihn zum Symbol seines Unternehmens. Neben sich hatte
er einen riesigen Strauß gelber Rosen liegen, den er besorgt hatte. Diesmal
mußten die Rosen in Jeannettes Armen landen.
    Er befand sich schon mitten in
dem luxuriösen Villenviertel Ipamena, als ihm die ernüchternde Erkenntnis kam,
daß er in ein Trauerhaus fuhr. Schließlich war Jeannette erst vor wenigen Tagen
Witwe geworden, und wenn ihre Ehe auch noch so brüchig gewesen war, so hatte
sie mit Henry
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