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Manhattan Blues

Manhattan Blues

Titel: Manhattan Blues
Autoren: Don Winslow
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eine Strafe für einen Kollegen, der diesen Service mißbrauchte,
um damit eine private Ausgabe reinzuwaschen: Er blieb auf ewig aus der Sammlung
Withers verbannt.
    »Verbannung?« hatte Jack Griffin - Versicherungsbetrug— gefragt, als
ihn Walter auf der Herrentoilette mit einem Beleg der New Haven Railroad
konfrontierte, der unmöglich in Ordnung sein konnte. »Für wie lange?«
    »Lebenslang«, hatte Walter geantwortet.
    »Himmel, Walt, lebenslänglich?« hatte Griffin gestöhnt. Sein kleines
Kaninchengesicht hatte sich in Falten gelegt, als er ein Stück Toilettenpapier
abriß und fragte: »Das ist ein bißchen hart, meinen Sie nicht auch?«
    Walter gab sich gar nicht erst die Mühe, ihn daran zu erinnern, daß es
vor nur lächerlichen sechs Monaten noch keine Quittungs-Bibliothek gegeben
hatte, aus der man hatte ausgeschlossen werden können, sagte jedoch einfach:
»Lebenslänglich, kann bei guter Führung aber in dreißig Tage umgewandelt
werden.«
    Echo der Stimme seines Vaters: Lege bei anderen Leuten nicht die
gleichen Maßstäbe an, die ich bei dir anwende oder du bei dir selbst. Diese
Meßlatte ist ziemlich hoch, mein Sohn, und die Beine der meisten Menschen sind
nicht lang genug, sie zu überspringen.
    An diesem Morgen nahm Walter also die Quittungen von gestern aus dem
für sie reservierten Fach in der Brieftasche und breitete sie neben dem
Spesenbericht aus. Es waren nur drei, da er den größten Teil des Tages an
seinem Schreibtisch verbracht und schon vorher auf der Rückseite jeder Quittung
Datum, Zeit und Verwendungszweck vermerkt hatte. Jetzt trug er die Fallnummer
in die linke Spalte des Berichts ein, worauf Datum, Betrag und Verwendungszweck
folgten. Anschließend heftete er die Quittungen in chronologischer Reihenfolge
an die Rückseite des Berichts und befestigte diesen mit Büroklammern an den
beiden vorherigen Tagesberichten der Woche. Die gesammelten Tagesberichte
gingen jeden Freitag an Tracy.
    Als nächstes kam das Buch mit den Tätigkeitsberichten auf den Tisch,
in dem Stunde für Stunde nachgewiesen werden mußte, wie der Detektiv seine Zeit
verbracht und seinen jeweils wichtigsten Fall bei Forbes und Forbes bearbeitet
hatte, denn das Unternehmen ließ sich von seinen Kunden stundenweise bezahlen.
Der Tätigkeitsbericht war auch das Netz, in dem sich betrügerische Ausgaben
unentwirrbar verhedderten. Natürlich mußten Ausgaben mit der jeweiligen
Tätigkeit in Einklang gebracht werden; ein Detektiv konnte beispielsweise
keinen Beleg für ein Motelzimmer in Yonkers einreichen, wenn er sich zur selben
Zeit angeblich in Brooklyn befunden hatte, um jemanden zu beschatten.
    Walter staunte immer wieder, wie viele Detektive, deren ganzer Job
darin bestand, Ungereimtheiten in den Belegen anderer Menschen aufzudecken,
ihre eigenen Spesenabrechnungen nicht mit ihren Tätigkeitsberichten in
Einklang bringen konnten. Jack Griffin war hoffnungslos darin, und gerade
Jack Griff in war mit Recht dafür berühmt, »das Wunder in der 35. Straße«
aufgedeckt zu haben, einen ärztlichen Bericht über das Opfer eines Autounfalls
namens Alice Guggenheiser, in dem nicht nur von Schürfwunden die Rede war,
sondern auch von Hodenquetschungen.
    »Dieser verlogene Quacksalber hat so viele gefälschte Berichte
geschrieben, daß er sie irgendwann einfach durcheinandergebracht hat«, hatte
Griffin einem verzückt lauschenden Auditorium in der Kantine erzählt.
    Doch selbst Griffin schaffte es nicht, seine Belege miteinander in
Einklang zu bringen.
    Walter hatte damit keine Mühe. Erstens war er ehrlich. Zweitens trug
er immer ein kleines Notizbuch bei sich, in dem er alles notierte, was er
jeweils tat, und zwar gleich an Ort und Stelle. Walter beendete seinen Bericht
im Tätigkeitsbuch, erlaubte sich, eine Minute aus dem Fenster zu starren und
seinen Kater zu kultivieren, nahm dann zwei weiße Blatt Papier, steckte
Kohlepapier dazwischen, drehte sie in seine Underwood-Maschine und begann,
seine Ermittlungsberichte zu tippen.
    Walter arbeitete in der Abteilung für Personalüberprüfungen — nicht
zu verwechseln mit der Personenschutzabteilung, was jedoch dennoch oft geschah.
Walters Job bei der Personalüberwachung bestand darin, neue Angestellte der
Großunternehmen unter die Lupe zu nehmen, die Kunden von Forbes und Forbes
waren.
    »Personalüberwachung«, hatte Forbes jr. bei seiner offiziellen
Willkommen-an-Bord-Plauderei zu Walter gesagt, »ist das Herzblut unserer
Agentur. Das und Versicherungsbetrug,
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