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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Autoren: René Grandjean
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und ich soll recht behalten. Denn schon kriecht der schmutzige Gummifuß von Martins Krücke neben Bettina über die Rückenlehne. Der Typ ist echt ein Arsch! Ich will sie nicht wecken und rühre mich nicht. Muss ich auch gar nicht. Martin zieht Bettinas Wange mit dem Gummifuß nach außen. Über ihre Grimasse muss selbst ich lachen.
    Sie öffnet die Augen, schaut mich verschlafen an und dann verschämt weg. Sie hat Dreck an der Wange.
    Wie kann man so was Schönes nur schmutzig machen, denke ich.
Der Typ ist echt ein Arsch!
     
    Wir steigen aus dem Bus und zerstreuen uns. Ich will allein sein, bin schlecht gelaunt und weiß nicht, warum. Die Jungs warten auf mich.
    „ Geht schon“, rufe ich ihnen zu und tue so, als würde ich etwas in meinem Rucksack suchen. Sie zucken mit den Schultern und verschwinden. Als ich sicher bin, dass alle fort sind, mache ich mich auf den Heimweg.
    Ein Fahrrad kommt mit quietschenden Reifen neben mir zum Stehen. Es ist Timm Becker, diese Wurst. Unsere Mütter sind befreundet. Timm ist zwei oder drei Jahre älter als ich. Er hat blonde Strähnchen und ist braungebrannt. Seinen Benetton Pullover hat er um die Schultern geschwungen, die Ärmel vor der Brust verknotet. Er geht zur höheren Schule und spielt Tennis. Timm ist so eine Art
Tarzan – wie der aus TKKG
. Ich wette, er trinkt sein eigenes Sperma. Er sieht mich an wie etwas Ekliges, das die Katze ins Haus geschleppt hat.
    „ Na, Nori“, sagt er, und sein Tonfall ist so unüberhörbar großkotzig, dass ich mich nur mühsam beherrschen kann, ihm nicht sofort die Fresse zu polieren.
    Ruhig, Nori!
    „ Was gibt’s, Timm?“, frage ich stattdessen.
    „ Schönes Sweatshirt“, sagt er.
    Ich schaue an mir hinab.
    „ Danke.“
    Ich bin ratlos. Was soll der Mist?
    „ Würde mir stinken, die alten Klamotten von anderen Leuten aufzutragen“, erklärt er mir.
    „ Aha“, sage ich nickend.
    Wie er mich angrinst. Plötzlich erinnere ich mich an die Situation und an das nachhaltige Gefühl der Erniedrigung. Zeit für eine Korrektur!
    Timm lehnt vornüber auf seinem Lenker und schaut mir stumm zu, wie ich in aller Ruhe meinen Rucksack ablege. Dann ziehe ich das Sweatshirt über den Kopf und werfe es ihm ins Gesicht. Bevor er weiß, was los ist, boxe ich ihm mit voller Kraft in die Fresse. Samt Fahrrad kippt er rückwärts in den Dreck, bleibt liegen und winselt wie ein kleines Mädchen. Ich sehe, dass das helle Grau des Sweatshirts sich dunkel färbt von seinem Blut.
    In der Zukunft würde man jetzt wohl noch mal zutreten. Aber nicht hier, nicht heute.
    Nicht in den Achtzigern.
    „ Da hast du es wieder.“ Ich nehme meinen Rucksack und gehe nach Hause. Das Shirt war eh’ voll mit Affenkacke.
     
    Der Feierabendverkehr rollt durchs Dorf. Die Kirchturmglocke läutet. Ich betrachte unser Haus von der gegenüberliegenden Straßenseite. Es ist alt, windschief und ganz wundervoll. Blumenkästen auf den Fensterbänken. Das dunkelbraune Fachwerkgebälk trägt das alte Gemäuer tapfer seit vielen Hundert Jahren.
    Ich überquere die Straße und drücke die Klingel. Meine Mutter öffnet mir die Tür. Sie trägt eine Bluse mit gewaltigen Schulterpolstern und großem Blumenmuster. Es ist schön, sie zu sehen.
    Warum ich die Jacke über dem nackten Oberkörper trage, möchte sie wissen. Ich erzähle von den Pavianen und lüge, dass ich das schmutzige Sweatshirt weggeworfen habe.
    „ Das hätte man auch waschen können!“, motzt sie. „Das hat viel Geld gekostet!“
    Gelogen, denke ich. Quitt für heute.
    Sie geht vor und ich folge ihr durch den Flur in die Küche. Mein Herz tut einen Satz. Mein Vater sitzt am Küchentisch, wie er es immer tut. Den linken Arm auf der Stuhllehne, den Kopf zur Seite gewandt schaut er in den Garten. In seinen Garten. Papa ist schlank, drahtig, und sein volles dunkles Haar ist zu einer Tolle geformt. Lange Koteletten unterstreichen die Schmalheit seines Gesichts. In der einen Hand die Zigarette, in der anderen die Kaffeetasse. Er dreht den Kopf, und ich sehe die gleiche undefinierbare Traurigkeit in seinen Augen wie in meinen.
    Nicht flennen, Nori!
    „ Hallo“, sagt er.
    „ Hallo“, gebe ich zurück und setze mich.
    Ich würde ihn gern in die Arme nehmen, aber das ist nicht üblich. Ihn um Verzeihung bitten! Aber er wüsste gar nicht, wofür. Und dann erwischt mich die ganze Größe dieses Momentes ausgerechnet durch die Nase. Das heiße Fett, das in der Pfanne brutzelt. Der frische Kaffee in der Maschine. Die
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