Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
ich gelesen habe, einschließlich derer meines Freundes Simenon, nur zur Hälfte wahr.
    Wir sitzen in unseren Büros und schreiben Rapporte. Denn was allzuoft vergessen wird: Auch das gehört zum Beruf. Ich möchte sogar behaupten, daß wir viel mehr Zeit für den amtlichen Papierkram aufwenden als für Untersuchungen im eigentlichen Sinn.
    Da wird ein älterer Herr gemeldet. Er wartet im Vorzimmer, macht einen sehr nervösen Eindruck und will sofort den Chef sprechen. Es wäre zwecklos, ihm zu erklären, daß der Chef keine Zeit für alle die Leute hat, die herkommen und ihn unbedingt persönlich sprechen wollen, weil ihr kleines Anliegen in ihren Augen das einzige wichtige ist.
    Es gibt einen Satz, der ewig wiederkehrt gleich einem Refrain, und der Bürodiener leiert ihn herunter wie eine Litanei:
    »Es geht um Leben und Tod.«
    »Übernimmst du ihn, Maigret?«
    Wir haben für solche Fälle ein kleines Büro gleich neben dem Büro der Inspektoren.
    »Nehmen Sie Platz. Zigarette?«
    Meist haben wir den Beruf, die gesellschaftliche Stellung des Besuchers erraten, noch ehe er Zeit gehabt hat, sich zu äußern.
    »Es handelt sich um eine sehr heikle, sehr private Angelegenheit.«
    Ein Bankkassierer oder ein Versicherungsagent, ein Mann, der ein ruhiges, geordnetes Leben führt.
    »Meinen Sie Ihre Tochter?«
    Es wird um seinen Sohn oder seine Tochter oder seine Frau gehen. Und die Rede, die er jetzt vom Stapel lassen wird, könnten wir im voraus fast Wort für Wort hersagen. Nein. Sein Sohn hat kein Geld aus der Geschäftskasse entwendet. Seine Frau ist nicht mit einem jungen Mann durchgebrannt.
    Es ist seine Tochter, ein junges Mädchen von allerbester Erziehung, man hat ihr nie etwas nachsagen können. Sie hatte keine Männerbekanntschaften. Sie lebte bei den Eltern und half ihrer Mutter im Haushalt.
    Ihre Freundinnen waren ebenso seriös wie sie. Sie ging sozusagen nie allein aus.
    Und jetzt ist sie verschwunden, samt einem Teil ihrer Sachen.
    Was soll man da sagen? Daß jeden Monat sechshundert Personen in Paris verschwinden, und daß man nur etwa zwei Drittel von ihnen wiederfindet?
    »Ist Ihre Tochter sehr hübsch?«
    Er hat mehrere Fotos mitgebracht, weil er dachte, sie könnten sich bei der Fahndung als nützlich erweisen. Ist sie hübsch, um so schlimmer, denn dann verringern sich die Chancen. Ist sie im Gegenteil häßlich, dann kommt sie wahrscheinlich in ein paar Tagen oder Wochen wieder nach Hause.
    »Sie können auf uns zählen. Wir werden alles Notwendige veranlassen.«
    »Wann?«
    »Sofort.«
    Er wird jeden Tag anrufen, jeden Tag zweimal, und wir haben keine Antwort auf seine Fragen, wir könnten ihm höchstens sagen, wir hätten keine Zeit, uns um das Fräulein zu kümmern.
    Fast immer hat eine erste Ermittlung ergeben, daß ein junger Mann, der im gleichen Haus wohnte, oder der Bursche aus dem Lebensmittelladen oder der Bruder einer Freundin am gleichen Tag verschwunden ist.
    Man kann nicht wegen eines jungen Mädchens, das ausgerissen ist, ganz Paris und Frankreich durchkämmen, und die Fotografie wird eine Woche später lediglich die Sammlung von vervielfältigten Aufnahmen vergrößern, die in den Kommissariaten, in den verschiedenen Polizeirevieren und an den Grenzposten aufliegen.
     
    Elf Uhr abends. Das Telefon klingelt. Es ist die Einsatzzentrale im gegenüberliegenden Gebäude der Stadtpolizei, wo alle Anrufe von außen zusammenkommen und auf einer Leuchttafel von der Breite einer Wand durchgegeben werden.
    Dem Posten im Revier von Pont-du-Flandre ist soeben gemeldet worden, es habe in einer Bar an der Rue de Crimée eine Schießerei gegeben.
    Das heißt, daß wir ganz Paris durchqueren müssen. Heute verfügt die Kriminalpolizei über mehrere Wagen, aber früher mußte man eine Droschke, später ein Taxi nehmen, wobei man nicht einmal sicher war, daß einem die Kosten vergütet wurden.
    Die Bar liegt an einer Ecke der Straße. Sie ist noch offen. Eine Scheibe ist zertrümmert. Einige gesichtslose Gestalten halten sich vorsichtig etwas abseits, denn in diesem Quartier fällt man besser nicht auf, wenn die Polizei in Erscheinung tritt.
    Die uniformierten Polizisten sind schon da, ebenso eine Ambulanz, manchmal auch der Kommissar des Quartiers oder sein Sekretär.
    Am Boden zwischen Sägemehl und Spucke liegt ein zusammengekrümmter Mann, eine Hand auf der Brust, aus der immer noch Blut rinnt. Das Blut hat eine Lache gebildet.
    »Tot!«
    Neben ihm liegt ein Köfferchen. Es muß ihm aus der Hand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher