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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch
Autoren: Jutta Mehler
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mit seinem Bruder eng zusammenarbeiten müssen. Dabei dürfte er gelernt haben, was Marthas Vater, der Pastor, seinen Kindern beigebracht hat: sachlich, redlich und unvoreingenommen zu argumentieren.
    »Gibt’s Nachtisch?«, fragte Hans Rot. »Hab ich nicht Schokopudding mit Sahneklecks auf der Anrichte stehen sehen?«
    Fanni schreckte auf. Sie stellte die leeren Teller ineinander und machte sich auf den Weg in die Küche. Auf halber Strecke blieb sie stehen. »Wie kommst du eigentlich darauf, dass Martha mit Willis Bruder ein Verhältnis haben soll?«
    Hans schnaufte unwillig. »Ist dir nie aufgefallen, wie schön er ihr immer getan hat? Martha hier, Martha dort. ›Martha, ist dir der Rucksack auch bestimmt nicht zu schwer? Martha, hast du noch genug zu trinken in deiner Flasche? Martha, du solltest eine Jacke überziehen, es ist windig hier oben.‹«
    Quatsch, dachte Fanni und ging weiter. Toni ist zu allen so gewesen. Immer fürsorglich, immer hilfsbereit. Willi hat sich um die Route gekümmert, ums Quartier, um die Ausrüstung. Willi war der Perfektionist. Toni war der Einfühlsame, der Sensible.
    »Und Gisela?«, fragte sie laut aus der Küche.
    Hans Rot lachte so herzhaft, dass Fanni jäh die Vorstellung überfiel, wie sich das Tischtuch mit zerkautem Salat sprenkelte. »Gisela! Die fesche Gisela. Die hat doch keine Zeit dazu, sich für Tonis Seitensprünge zu interessieren. Die ist vollauf mit ihren eigenen beschäftigt.«
    »Gisela hat auch eine Liaison? Mit wem denn?«, erkundigte sich Fanni, während sie den Nachtisch vor Hans Rot hinstellte und erstaunt das Fehlen grüner Tupfer bemerkte.
    Hans zuckte die Schultern. »Damals in den Bergen, da hat sie es mit jedem getrieben.«
    »Mit dir auch?«, fragte Fanni.
    Ihr Mann senkte den Blick auf seinen Pudding, als hätte er etwas zu verbergen. Da wusste Fanni, dass er nie bei Gisela hatte landen können. Er nicht und vermutlich auch sonst keiner aus der Gruppe. Rudolf nicht und der immer etwas vulgäre Hannes erst recht nicht.
    Warum sagt ihr Hans Rot dann so etwas nach?
    Fanni hätte beinahe aufgelacht. Weil Gisela die Männer bis aufs Blut gereizt hat. Sie stolzierte geschminkt und gestylt in den Bergen herum, wackelte mit dem Hintern und präsentierte allen ihr beeindruckendes Dekolleté.
    Ließe sich das nicht als beredtes Signal deuten?
    Viele Männer haben es vermutlich so aufgefasst, dachte Fanni. Aber Gisela hatte kein Interesse an Kerlen. Gisela hat sich von jeher nur für sich selbst interessiert.
    »Wie, meinst du, hat Gisela das bloß fertiggebracht?«, fragte Fanni ihren Mann.
    »Was?«, entgegnete der und machte mit dem »s« einen kleinen braunen Klecks aufs Tischtuch.
    »Es in den Bergen mit jedem zu treiben? In den Hütten haben wir Kopf an Kopf in Massenlagern geschlafen. Gisela und ihr Liebhaber hätten da Publikum noch und noch gehabt. Und draußen, zwischen Felszacken oder Eiswülsten, liegt es sich nicht recht bequem.«
    Hans Rots Stimme troff vor Spott. »Ach, mein Fannilein, mein Dummerchen. In den Bergen gibt’s mehr lauschige Winkel, als du dir vorstellen kannst: Trockenräume in Hüttenkellern, warm und dunkel; Moospolster unter Überhängen, weich und behaglich; zur Not tut es auch der Deckel auf dem Klo.«
    Schau an, der Hans!
    Fanni musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht laut herauszuplatzen, als sie sich vorstellte, wie Gisela in Seidenunterwäsche und Rudolf in Schurwollsocken ein Schäferstündchen auf dem engen, stinkenden, verdreckten und modrigen Plumpsklo der Tracuithütte in den Schweizer Bergen hielten.
    Dann schon lieber zwischen nassen Strümpfen und dampfenden Bergstiefeln neben dem fauchenden Heizaggregat auf der Gnifettihütte!
    Fanni gluckste. Oder doch im Schutz eines Überhangs, von dem das Gletscherwasser rieselt, auf einem feucht-frostigen Fleckchen, wo grobkörniger Sand unterm Hintern scheuert?
    »Wenn Willi beerdigt wird, müssen wir hingehen«, sagte Hans Rot. »Beide!«
    »Natürlich komme ich zu Willis Beerdigung mit«, antwortete Fanni.
    Hans sah sie ziemlich erstaunt an, denn gewöhnlich drückte sie sich vor gesellschaftlichen Ereignissen und boykottierte Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Kaffeekränzchen.
    Willis Beerdigung aber wollte sich Fanni keinesfalls entgehen lassen, schon allein deshalb, weil sie annahm, dass auch Willis Mörder dort sein würde.

    Als Fanni am nächsten Morgen aufstand, strahlte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel.
    Ein herrlicher Sommertag, dachte sie. Wie
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