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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
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abgeschirmt.
    »Wow«, sagte ich. »Was macht denn Paul beruflich, dass er so ein großes Haus hat?«
    »Er ist im Baugewerbe«, erwiderte mein Vater.
    Ich erinnere mich, wie froh ich darüber war, dass mein Vater in derselben Branche tätig war wie Paul, weil wir dann eines Tages eine ähnliche Villa beziehen könnten. Papa sagte nichts davon, dass Paul sein Boss in einer der größten, blutrünstigsten und am meisten gefürchteten Familien New Yorks war – auch nicht, dass im »Baugewerbe« niemandem ein kleines Häuschen gebaut wurde, sondern dass damit organisiertes Verbrechen, Gaunerei und Erpressung gemeint waren. Er erwähnte nicht, dass ein Geschäftsmann wie Paul mit dem Leben anderer Menschen spielte. Es sollte noch eine Weile dauern, bis ich diesen Aspekt des Geschäfts kennen lernte.
    Im Herbst desselben Jahres verkündete mein Vater, dass für mich ein Schulwechsel anstehe. Er wolle, dass ich eine bessere Bildung erhalte, daher habe er mich an der prestigeträchtigen Staten Island Academy angemeldet. Ich war wütend, weil ich mich von meinen Freunden trennen musste, und hatte Angst, dass mich die Kinder an der Privatschule vielleicht nicht akzeptieren würden. Ich war gerade ein paar Wochen dort, da lud mich eine Klassenkameradin zum Spielen zu sich nach Hause ein. Sie lebte so nah bei der Schule, dass wir von ihrem Hof aus den Spielplatz sehen konnten. Es war ein schöner Tag, und wir waren draußen auf dem Rasen vor dem Haus. Ihre Mutter war gerade hineingegangen, um uns Limonade zu machen, als meine neue Freundin etwas sehr Verblüffendes kundtat.
    »Meine Mutter und mein Vater sagen, dass in dem Haus dort ein großer Gangster wohnt«, sagte sie und zeigte über die Straße auf das Castellano-Anwesen.
    Ich wusste, dass Paul Papas Freund war. Ich zählte zwei und zwei zusammen. Wenn Paul Castellano ein Gangster war, dann war mein Vater auch einer. Er benahm sich nur nicht wie ein Gangster. Meine Vorstellung eines Gangsters war Vito Corleone, der fiktive Mafiaboss aus Der Pate . Der Film war sogar ein paar Blocks von meiner Schule entfernt gedreht worden.
    An jenem Nachmittag wurde ich allerdings nicht zum ersten Mal mit der Möglichkeit konfrontiert, dass mein Vater »Verbindungen« haben könnte. Als ich sechs war, fand ich im Schlafzimmer meiner Eltern in unserer Wohnung an der 61. Straße in Bensonhurst eine Pistole. Mama war gerade in der Küche und ich amüsierte mich damit, einige meiner Lieblingsbücher unter ihrem Bett zu verstecken. Dabei entdeckte ich die Pistole, die Papa unter die Matratze gesteckt hatte. Ich wusste, dass Papa während des Vietnamkriegs in der Armee gedient hatte, weil ich seine Hundemarken gesehen hatte. Ich fragte mich also, ob dies ein Souvenir aus dem Krieg war. Ich rannte in die Küche und fragte meine Mutter, was es mit dieser erstaunlichen Entdeckung auf sich habe.
    »Mami, hat Papa eine Pistole, weil er in der Armee war?«
    »Ja«, war alles, was ihr darauf einfiel.
    Am nächsten Tag gab ich vor meinen Schulfreunden an und erzählte ihnen, mein Vater habe eine Pistole unter dem Bett, weil er in der Armee gewesen sei. Meine Lehrerin hörte das zufällig und ging direkt zu meiner Mutter. Als Papa davon erfuhr, war er nicht böse. Er befahl mir lediglich, nie wieder mit jemandem darüber zu sprechen.
    Mein Vater hatte diese gewisse »Coolness« an sich. Er war schicker als die Väter der anderen Kinder. Er trug Sweatshirts und Goldketten und hatte Tätowierungen: Jesus auf dem einen Arm und eine Rose auf dem anderen. Dazu trug er mitten auf der Brust noch einen kleinen Diamanten. Er besaß Nachtclubs und blieb immer sehr lange aus. Einige seiner Freunde waren Türsteher. Sie sprachen anders als die Väter der anderen Kinder an der Schule und kleideten sich auch anders. Sie hatten Geldbündel in ihren Taschen und brachten immer Geschenke mit – und wenn es auch nur eine Schachtel Gebäck am Sonntag war.
    An den Wochenenden nahm mich mein Vater manchmal mit in »den Club« in Bensonhurst. Damals wusste ich es noch nicht, aber es war ein örtlicher Mafiatreff, auch bekannt als »Geselligkeitsverein« für Männer. Bevor wir dort vorbeischauten, ließ Papa zuerst das Auto waschen. Die Männer im Club spielten Karten und tranken Kaffee. Es sah aus wie in einer großen Küche. Im Raum verteilt standen Tische und Stühle, und an den Wänden hingen ein paar Bilder, meist Ansichten aus Italien. Frauen traf man dort niemals an. Ein älterer Herr namens »Toddo« saß meistens
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