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Mafiatochter

Mafiatochter

Titel: Mafiatochter
Autoren: Karen Gravano
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an einem der hinteren Tische. Er war stets adrett gekleidet, trug Tuchhosen, eine Strickjacke, eine große, auffällige Uhr und einen Ring am kleinen Finger.
    »He Bo, was geht?«, sagte mein Vater immer. So sprach er alle an, sogar mich. Ich wusste nicht, warum er die Leute mit »Bo« ansprach und nicht mit »Bro« wie »Brother«.
    »Geh und sag hallo zu Onkel Toddo«, wies er mich an und schob mich in Richtung des alten Mannes.
    Ich musste zu ihm gehen, ihn umarmen und küssen. »Wie geht’s dir, Kindchen?«, fragte er dann. Der alte Mann tätschelte mir den Kopf und steckte mir einen Zwanzig-Dollar-Schein in die Tasche.
    Ich fand es etwas seltsam, dass die Männer sich erst auf eine Wange küssten und dann einen festen Händedruck austauschten. Niemand betrat einfach den Raum und sagte hallo; es wurden stets die Hände geschüttelt, und es schien eine feste Ordnung zu geben, wessen Hand man als erste zu schütteln hatte. Freilich wusste ich nicht, dass Toddo eigentlich Salvatore »Toddo« Aurello war, ein Capo in der Familie Gambino und der Boss und Mentor meines Vaters bei der Mafia. Ich dachte einfach, mein Vater respektiere ihn deshalb, weil er älter war. Erst als ich zwölf Jahre alt war, wusste ich mit Sicherheit, dass mein Vater ein Gangster war. Selbst da stellte ich aber lieber keine Fragen.
    Als ich in der Mittelschule war, hörte ich einmal, wie meine Eltern über einen Typen sprachen, der einen der Nachtclubs meines Vaters kaufen wollte. Es war am späten Sonntagnachmittag und wir waren zum Abendessen bei meiner Tante Fran. Sie war eine von Papas älteren Schwestern. Fran und ihr Ehemann Eddie lebten in einem Zweifamilienhaus auf der anderen Straßenseite. Auch Papas Mutter wohnte dort, in einem Apartment im Souterrain.
    Tante Fran stand meinem Vater näher als seine Schwester Jean. Papa und Fran waren altersmäßig näher beieinander und schienen auch mehr gemeinsam zu haben. Fran war immer freundlich und liebevoll. Sie spielte Klavier und brachte es auch Gerard und mir bei. Sie setzte sich zu uns und erzählte uns Geschichten von meinen Großeltern und wie sie aus Italien gekommen waren. Die Mutter meines Vaters, Kay, schrieb Kindergeschichten, die in den Vereinigten Staaten erschienen.
    Tante Fran las uns diese Geschichten immer vor und schmückte sie mit ihren eigenen bunten Phantasien aus. Eine von Oma Kays Geschichten handelte von einem Mädchen namens Karen und einem Kaninchen. In einer anderen ging es um meine Kusinen, die auf den Schwingen eines Adlers durch die Stadt flogen. Meine Tante Jean, oder Jeannie, Papas älteste Schwester, bewahrte die Bücher in ihrem Haus auf, doch sie fielen nach dem Tod von Oma Gravano einem Brand zum Opfer. Jeannie war mit meinem Onkel Angelo verheiratet. Er hatte mit »dem Leben« nichts zu tun. Er war Ingenieur.
    Jeannie war wesentlich älter als Papa. Wir besuchten sie oft zu Hause. Onkel Angelo spielte gern Golf und Tennis und hatte ein Aquarium im Keller. Wir durften nichts von seinen Sachen anfassen. Papa mochte Angelo sehr. Er war für Sammy mehr wie eine Vaterfigur. Onkel Angelo war ein strenger Mann, aber auch sehr großzügig. Er hatte feste Vorsätze, die er konsequent vertrat. Als zwei seiner Kinder in Schwierigkeiten gerieten, weil sie Marihuana geraucht hatten, warf er sie aus dem Haus. Papa konnte mit dieser Art von Disziplin nichts anfangen; ganz egal, was ich auch angestellt hätte, er hätte mich nie verstoßen.
    An den Abenden, an denen Papa länger in Brooklyn zu tun hatte, gingen wir in der Regel zu Tante Fran zum Abendessen. Papa gesellte sich dann zu uns, wenn er nach Hause kam. Es war ihm wichtig, dass wir jeden Abend als Familie zusammen aßen, und er versuchte, stets pünktlich um fünf zu Hause zu sein.
    Ich erinnere mich, dass wir einmal um den langen weißen Tisch in Tante Frans Esszimmer saßen und Papa begann, allen von diesem tschechoslowakischen Kerl namens Frank Fiala zu erzählen. Er sagte, der Typ sei »wahnsinnig«. Ich wusste nicht, was dieser Typ tat, dass Papa dachte, er sei nicht ganz richtig im Kopf, aber was es auch war, es begann meinen Vater zu ärgern. Ich wusste, dass Frank Fiala die Plaza Suite an der 68. Straße in Gravesend in Brooklyn kaufen wollte. Es war der erfolgreichste Nachclub meines Vaters. Papa gehörte das gesamte Gebäude. Er leitete die Plaza Suite vom ersten Stock aus. Die Büros seiner Bauunternehmung und die Ausstellungsräume seiner Teppich- und Bodenbelagsfirma befanden sich im Erdgeschoss.
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