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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition)
Autoren: Anna Katmore
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passieren. Er blickte auf meine Hände, die ich tief in meine Hosentaschen gesteckt hatte, und machte dabei ein finsteres Gesicht. Das kratzte mich nicht. Ich ignorierte ihn und folgte der Gewitterziege in Pink.
    Abes Zimmer war dreimal so groß wie Miss Mulligans Büro im Jugendheim und mit einem hellbraunen Teppich ausgelegt. Durch breite Fenster an zwei Wänden strömte Licht und ließ den Raum fast freundlich wirken. Seitlich neben der Tür stand eine kleine Gruppe von Leuten an der Wand, doch ich sah sie nur aus dem Augenwinkel und schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Neben dem monströsen Schreibtisch des Richters saßen ebenfalls Leute; unter ihnen mein guter Freund Quinn. Er warf mir einen ermutigenden Blick zu, und ich fühlte, wie sich eine angenehme Wolke der Ruhe über mich legte. So lange Quinn da war, würde mir nichts passieren. Er würde es nicht zulassen. Ich zog die Mundwinkel in einem Versuch zu lächeln nach oben und er nickte mir zu. Dann holte ich tief Luft und richtete meinen Blick auf Abe.
    Sein argwöhnischer Ausdruck verursachte bei mir eine Gänsehaut, doch selbst als Miss Mulligan langsamer wurde, schritt ich entschlossen auf ihn zu. Zeig niemals Angst oder Schwäche , hörte ich dabei Debbies Warnung in meinen Gedanken.
    „Na, wenn das nicht Jona Montiniere ist.“ Abe schob seine kleine, rahmenlose Brille etwas weiter die Nase hoch und musterte mich von oben bis unten.
    Kopf hoch, Schultern zurück , sagte ich mir selbst und setzte dabei mein bestes Businesslächeln auf. „Hallo Abe. Was machen die Geschäfte?“
    Der Richter knirschte mit den Zähnen. „Durch Sie habe ich immer etwas zu tun, Miss Montiniere“, grummelte er durch seinen stoppeligen Bart. Ich hatte mich immer gefragt, wie es kam, dass Männer ihre gesamte Haarpracht verlieren konnten, aber der Bart immer noch sprießte wie Unkraut im verzauberten Garten. Doch das schien mir nicht gerade der geeignete Zeitpunkt zu sein, um dieses heikle Thema mit Abe zu besprechen. Nicht, wenn er gerade so richtig in Fahrt kam.
    Er warf einen kurzen Blick auf die Unterlagen vor ihm. „Das ist heute das dreiundzwanzigste Mal innerhalb einen Jahres, dass Sie vor mir stehen.“
    Bei dem Wort dreiundzwanzig ertönte ein leises Pfeifen aus der Stuhlreihe. Ich peilte Quinn an, der eine beeindruckte Augenbraue hochzog.
    „Möchten Sie etwas zu Ihrer Verteidigung sagen, Miss Montiniere?“, fuhr Abe fort.
    Ich zog einen Schmollmund. Quinn zuckte nur mit den Schultern. Neben ihm saß Riley, der gerade den letzten Bissen von einem Donut mit rosa Zuckerguss in sein breites Maul stopfte. Er brachte mich auf eine Idee.
    Mit einem optimistischen Grinsen drehte ich mich zurück zu Abe. „Ich bin Kleptomanin und habe ein medizinisches Gutachten für offiziell erlaubtes Stehlen in ganz London.“ Na, was sagst du dazu?
    Für einen Moment sagte Abe gar nichts. Sein Mund bewegte sich zwar, aber es kam kein Ton heraus. Riley bellte indessen wie ein erstickender Hund und schlug sich mit der Faust wild gegen die Brust. Allerdings war es das tiefe, leise Lachen aus dem hinteren Teil des Zimmers, das meine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Erst sah ich nur kurz über meine Schulter nach hinten, doch das strahlende Sonnenlicht blendete mich und so drehte ich mich auf den Hacken um.
    Für einen unermesslich langen Moment schien ein greller weißer Nebel alles in seinem Umkreis zu verschlingen. Fassungslos konnte ich nicht einmal blinzeln. Dann trat plötzlich eine große, schlanke Figur aus dem leuchtenden Nebel. Ein langes, weißes Gewand, beinahe so wie eine Kutte, wehte um ihre Beine. Die weiten, flatternden Ärmel verdeckten die Hände fast vollständig. Als Nächstes nahmen abgrundtief blaue Augen ihre Form an, gefolgt von einem warmen Lächeln, das mühelos jeden Gletscher der Arktis hätte schmelzen lassen können.
    Es musste sich hier um eine optische Täuschung durch das hereinströmende Sonnenlicht handeln. Eine stressbedingte Halluzination. Ich war wohl doch angespannter, als ich zuerst vermutet hatte. Ich machte die Augen zu, dann blinzelte ich ein paar Mal. Doch die Illusion verschwand nicht.
    Ich spürte, wie jedes Paar Augen im Raum auf mich gerichtet war. Meine Haut prickelte unter dem mir zugeteilten Argwohn. Nur die erleuchtete Person vor mir senkte ihren Blick. Die Person trat wenige Schritte zurück in den Schatten der Mauer und sofort verschwand auch der gleißende Nebel. Nun erst erkannte ich die feinen Gesichtszüge eines jungen
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