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Märchensommer (German Edition)

Märchensommer (German Edition)

Titel: Märchensommer (German Edition)
Autoren: Anna Katmore
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Handschellen an.
    Im Augenwinkel bemerkte ich den Begleiter meiner Mutter ganz in meiner Nähe. Der blondhaarige Adonis musterte mich mit finsterem Blick. Versuchte er mich zu durchschauen? Dabei hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl.
    Quinn zog mich sachte nach vorn zu Abes Schreibtisch. Über meine Schulter hinweg versuchte ich, den Blick des seltsamen Fremden noch für einen Moment länger zu halten. Sein Arm lag in einer schützenden Haltung um die Schultern meiner Mutter. Ein Halbgott Anfang zwanzig und Charlene? Wie um alles in der Welt passte das denn zusammen?
    „Jona Montiniere!“
    Das Gemurmel im Raum verstummte augenblicklich durch Abes Brüllen. Ich riss den Kopf herum und stählte meine Nerven für das, was mich nun erwartete.
    Abe stand hinter seinem Schreibtisch und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, wobei er sich nach vorne beugte und mich über den Rand seiner Brillen hinweg missbilligend ansah. „Diesmal sind Sie zu weit gegangen. Missachtung des Gerichts. Angriff auf eine Polizeiperson—“
    „Was?! Die haben mich zuerst angegriffen!“ Meine Stimme donnerte ebenso zornig wie seine durch den Raum. „Jemand sollte Riley wegen Kindesmisshandlung hinter Gitter stecken!“
    „ GENUG! “, röhrte Abe. „Halt deinen Mund und setz dich hin!“
    Das formelle Miss Montiniere hatte er sich offenbar geschenkt.
    „Mich setzen?“ Mein dramatischer Blick hinter mich machte deutlich, dass da nur der harte Fußboden war und sonst nichts.
    Abe rieb sich frustriert die Schläfen. „In Gottes Namen, bringt dem Mädchen einen Stuhl.“
    Einer der Wachen schob mir eilig einen Sessel in die Kniekehlen. Ich knickte ein und landete auf dem harten Sitz aus Holz. Quinn stand mit verschränkten Armen neben mir. Er wirkte fast wie ein Türsteher vor einem von Londons Nachtclubs. Ooh, mein ganz persönlicher Pit Bull. Das nahm mir zumindest einen Teil meiner Angst.
    Der Richter beruhigte sich mit ein paar tiefen Atemzügen und setzte sich schließlich ebenfalls hin. Seine aufgeplusterte Robe mit den Puffärmeln verlieh ihm eher das Aussehen einer gespenstischen Eule, als das einer Autoritätsperson. Als er seinen Blick kurz auf die Unterlagen vor ihm senkte, nutzte ich die Gelegenheit und stieß Quinn mit meinem Ellbogen in den Oberschenkel.
    „Was ist?“, grummelte er.
    Ich hob meine Hände mit den einschneidenden Handschellen und grinste niedlich. „Könntest du die abnehmen?“
    Quinn warf einen kurzen Blick hinter sich zur Tür, dann sah er mich mit schmalen Augen für einen Moment eindringlich an. „Ganz sicher nicht.“
    Wie bitte? Und ich hatte gedacht, er wäre mein Freund. Ich versuchte ihn mit meinem Todesblick zu vernichten, doch er lächelte nur und zerraufte mir das Haar.
    Als Richter Abe sich lauthals räusperte, richteten sich alle Blicke im Raum wieder auf ihn. „Miss Montiniere, ich verfolge Ihre Strafakte nun schon seit fast einem Jahr. Wie man mir gesagt hat, werden Sie in wenigen Wochen aus dem Westminster Waisenhaus entlassen.“ Er zog sich die Brille von der Nase und legte sie behutsam auf den Papierstapel vor sich. „Das gibt Anlass für ernsthafte Bedenken. Mit einer kriminellen Vergangenheit wie der Ihren, zweifle ich nicht daran, dass wir Sie über kurz oder lang bei einem ernsthaften Raubzug durch London erwischen werden.“
    Kriminelle Vergangenheit? Hallo? „Ich klaue nur von den Reichen, um es den Armen zu geben.“ Und in diesem speziellen Fall war ich eben die Arme. „Sollte eine Person in Ihrer Position ihr Amt nicht ohne jegliche Vorurteile praktizieren?“
    Ich hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als Quinns Finger sich bereits schmerzhaft in meine Schulter gruben.
    Der Richter jedoch schenkte meinem Vorwurf keinerlei Beachtung. Er holte nur langsam und tief Luft. „Um das Schlimmste zu vermeiden, sollte ich Sie unter Hausarrest stellen und eine offizielle Anhörung für einen späteren Termin festsetzen; wenn Sie achtzehn und voll strafmündig sind. Nichts würde mich dann noch davon abhalten, Sie in Haft zu bringen.“
    Ach du heilige Scheiße.
    Er machte eine kurze Pause und zog die Mundwinkel zu einem überlegenen Lächeln hoch. Ich wünschte, der Wachhund an meiner Seite würde mir die Handschellen abnehmen, damit ich dem alten Richter die glasigen Augen auskratzen konnte.
    „Doch zu Ihrem Glück“, sagte er, „befindet sich heute Ihre Mutter unter uns. Wir hatten heute Morgen ein inoffizielles Treffen, und ich bin froh—“
    Ich sprang von
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