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Maedchengrab

Maedchengrab

Titel: Maedchengrab
Autoren: Ian Rankin
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Vielleicht rang Beamish mit demselben Problem. Er streckte ihm die Hand entgegen. Rebus schlug ein. »Bis zum nächsten Mal, hm?«
    »Solange keiner von uns beiden in den Holzpyjama steigt.«
    Beamish ging mit einem Schnauben, klappte den Mantelkragen gegen den Regen hoch. Rebus trat die Zigarette mit dem Absatz aus, wartete einige Augenblicke, dann ging er zu seinem Wagen.
    Der Verkehr in Edinburgh war wie prophezeit die Hölle. Behelfsampeln, gesperrte Straßen, Umleitungen. Überall Stau. Größtenteils wegen des Baus einer Straßenbahnverbindung zwischen Flughafen und Innenstadt. Als er stand, überprüfte Rebus die Mailbox seines Handys und stellte wenig erstaunt fest, dass er keine einzige Nachricht hatte. Kein dringender Fall verlangte seine Aufmerksamkeit. Sein Gebiet waren die, die lange tot waren, Mordopfer, die die Welt längst vergessen hatte. Bei der SCRU , der Serious Crime Review Unit, einer Einheit für die nochmalige Untersuchung von Kapitalverbrechen, lagen aktuell elf Fälle. Sie reichten zurück bis ins Jahr 1966, der jüngste war von 2002. Sofern es Gräber gab, die man besuchen konnte, war Rebus dort gewesen. Manchmal legten Freunde und Verwandte dort noch Blumen ab, und wenn es Karten gab, hatte er sich die Namen notiert und zu den Akten gelegt – obwohl er nicht ganz sicher war, wozu das gut sein sollte. Als er den CD -Player im Auto anstellte, drang Jackie Levens Stimme tief und durchdringend aus den Lautsprechern. Er sang davon, im Grab eines anderen Mannes zu stehen. Rebus’ Blick verengte sich. Einen Augenblick lang war er wieder auf dem Friedhof und starrte die Köpfe und Rücken an. Er griff auf den Beifahrersitz und fummelte das Textblatt aus der CD -Hülle. Das Stück hieß »Another Man’s Rain«. Davon sang Jackie: im Regen eines anderen zu stehen.
    » Wird Zeit, dass du dir mal die Ohren untersuchen lässt«, brummte Rebus vor sich hin. Jackie Leven war auch schon tot. Dabei war er bestimmt ein Jahr jünger gewesen als er selbst. Sie stammten beide aus Fife. Er fragte sich, ob ihre Schulfußballmannschaften jemals gegeneinander angetre ten waren – das war so gut wie die einzige Gelegenheit, bei der sich Kinder aus verschiedenen Schulen begegneten. Aber egal: Er war sowieso nie in die erste Mannschaft gewählt worden, sondern hatte immer nur die Aufgabe bekommen, sein Team vom schweinekalten Spielfeldrand aus anzufeuern, während die anderen angriffen, Tore schossen und sich gegenseitig beschimpften.
    »And standing in every bastard’s rain«, sagte er laut. Der Wagen hinter ihm hupte. Der Fahrer hatte es eilig. Termine und wichtige Leute warteten auf ihn. Die Welt würde untergehen, wenn der Verkehr nicht bald ins Rollen kam. Rebus fragte sich, wie viele Stunden seines Lebens er auf diese Art schon verschwendet hatte. Oder mit Observieren. Oder dem Ausfüllen von Formularen, Anträgen und Stundenzetteln. Auf seinem Handy war eine Nachricht eingegangen. Der Chef.
    Dachte, Sie hätten 3 gesagt!
    Rebus schaute auf die Uhr. Es war fünf nach. In schätzungsweise zwanzig Minuten würde er im Büro sein. Früher hatte er noch Blaulicht und Sirene im Wagen gehabt. Vielleicht wäre er damit jetzt auf die Gegenfahrbahn ausgeschert und hätte dem Schicksal vertraut, dass er schon nicht in der Notaufnahme landen würde. Heute hatte er nicht mal mehr einen ordentlichen Dienstausweis, weil er kein Beamter mehr war. Er war jetzt Polizist im Ruhestand, der als zivile Hilfskraft weiter für die Lothian and Borders Police tätig war. Sein Chef war der einzige offiziell noch im Dienst befindliche Beamte seiner Abteilung. Und er war alles andere als glücklich über seine Versetzung in die »Gerontologie«. Genauso wenig wie über die Besprechung um 15 Uhr und Rebus’ Verspätung.
    Warum so eilig?, simste Rebus zurück, nur um ihn zu ärgern. Dann drehte er die Musik lauter und spielte dasselbe Stück noch einmal. Jackie Leven schien immer noch im Grab eines anderen Mannes zu stehen.
    Als wäre der Regen nicht schon schlimm genug …

II
    Er streifte sich den Mantel von den Schultern und tropfte damit quer durchs Büro bis zum Haken an der Wand ganz hinten.
    »Danke, dass Sie sich herbequemt haben«, sagte Cowan.
    »Entschuldigung, Danny.«
    »Daniel«, korrigierte ihn Cowan.
    »Tut mir leid, Dan.«
    Cowan saß an einem der Schreibtische. Da seine Beine nicht ganz bis auf den Boden reichten, blitzten über den schwarzen Lederschuhen seine roten Socken mit dem Paisleymuster auf. In der untersten
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